■ Die Grünen sollten auf Verbraucherschutz setzen. Denn ein Blick nach Europa zeigt: Umweltpolitik kommt beim Wähler an
: Zurück zur Ökologie

Von einer grünen Politik zum Genfood kann kaum gesprochen werden

Nur mit einer Rehabilitierung der Ökologie, so unsere Hypothese, können die Grünen wieder Wahlen gewinnen. Die Ausgangslage ist gewiss nicht einfach. Die Öko-Partei steht vor einem Paradox: Die umweltpolitische Erwartungshaltung ihrer Stammwähler ist groß, die Enttäuschung für das jüngste Stimmungstief mitverantwortlich. Gesamtgesellschaftlich hingegen hat Ökologiepolitik an Bedeutung verloren und wird von ökonomischen Fragen, insbesondere der Lage auf dem Arbeitsmarkt, verdrängt.

Zudem ist es schwieriger geworden, Umweltpolitik ins Zentrum zu rücken. Die Problemlage ist weniger thematisier-, wahrnehm- und politisierbar geworden. Keine Kraftwerksbauten, die polarisieren. Filter haben sichtbare Rauchschwaden verdrängt, durch den Bau von Kläranlagen sind Fische in viele Flüsse zurückgekehrt. Die neue Problemlage ist komplexer und komplizierter: Klimawandel, Ozonloch, Artenschwund und Flächenverbrauch vollziehen sich schleichend, sind weniger sichtbar und eher von globaler Natur.

Die Grünen stehen in dieser Gemengenlage vor der Herausforderung, ein emotionalisierbares Thema zu finden, das zugleich ihre Stammklientel mobilisiert und auch wieder andere gesellschaftliche Schichten ansprechen kann. Dabei kann ein Blick über die europäischen Grenzen helfen, siegen zu lernen.

In Großbritannien landeten die Grünen mit einer Kampagne gegen Gen-Food, die sogar Prinz Charles unterstützte, bei der Europawahl einen Überraschungscoup: Sie erzielten 6,3 Prozent – nach 0,2 Prozent bei den nationalen Wahlen 1997. In Belgien brachte den beiden grünen Parteien die Problematisierung des Dioxinskandals ein zweistelliges Ergebnis bei der Europawahl (15,8 Prozent) und zwei Ministerposten in der neuen Mitte-Links-Regierung ein. Und während in Deutschland bereits 79 Freisetzungsstandorte für gentechnisch veränderte Pflanzen genehmigt wurden, setzte die grüne Umweltministerin in Frankreich ein Moratorium für den Anbau transgener Pflanzen durch. Ihre Partei verdreifachte auch deshalb bei den Europawahlen ihr vormaliges Ergebnis und erzielte 9,7 Prozent.

Der wirtschaftsliberale Economist widmete den europäischen Grünen jüngst eine größere anerkennende Geschichte: „Greens grow up“. Nur die Deutschen (und Italiener) scheren aus dem europäischen Aufwärtstrend aus. Dabei dürfte eine stärkere Orientierung auf den Verbraucherschutz und gesunde Lebensmittel fast ein Selbstläufer sein. In den Umfragen sind 85 Prozent der Deutschen dafür, Veranstaltungen sind überdurchschnittlich besucht, grüne Schwesterparteien haben so bereits Wahlkämpfe gewonnen und gerade jene jüngere Klientel, die den Grünen abhanden gekommen ist, kann so gezielt angesprochen werden (insbesondere die mit kleinen Kindern).

Für die Grünen kommt es auf die Erkenntnis an, dass die umweltpolitische Performance der Bundesregierung die entscheidende Messlatte für ihr parteipolitisches Überleben ist. Kompetenzzuweisung und Erwartungen der grünen Wähler sind, wie Umfragen zeigen, auf das Umweltthema fokussiert. Nur die grünen Wähler gestehen ihrer eigenen Partei die höchste Umweltkompetenz zu, während andere Wähler ein geringeres ökologisches Zutrauen zur eigenen Partei haben.

Sollte die Öko-Partei nun nach vier Jahren gerade im umwelt- und verbraucherorientierten Politikfeldern nur eine magere Bilanz vorlegen, wäre die Überlebensfrage wahrscheinlich beantwortet – negativ. Im ersten Jahr der rot-grünen Koalition war Umwelt- und Gesundheitspolitik bislang vornehmlich auf den für Grüne identitätstiftenden Atom-„Ausstiegs“-Diskurs, die zarte Ökologische Steuerreform sowie die Gesundheitsreform fixiert.

Die Handlungsspielräume bezüglich eines Verbraucherschutzes blieben weitgehend ungenutzt – obwohl das grüne Gesundheitsministerium Regulierungsinstanz für die Gentechnik ist. So lehnte die Bundesregierung ein Moratorium für den Anbau transgener Pflanzen ab, obwohl zahlreiche Mitgliedstaaten einzelne Vermarktungsverbote bereits erlassen haben. Von der EU-Umweltkommissarin bekam die Bundesregierung wenig Schmeichelhaftes bei der Novellierung der EU-Freisetzungsrichtlinie ins Stammbuch beschrieben – in der Öffentlichkeit fast untergegangen. Die deutschen Vorschläge hätten den EU-Kommissionsvorschlag „verwässert“ und seien „extrem besorgniserregend“. Konkret: Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung, Verlängerung der von der Kommission vorgeschlagenen Genehmigungsbefristung (von 7 auf 12 Jahre), Ablehnung des Vorsorgeprinzips in der Zweckbestimmung der Richtlinie und der Verbleib des Entscheidungsrechts bei der Kommission statt mehr Mitsprache der Mitgliedstaaten bei der Entscheidung über die Vermarktung gentechnisch veränderter Organismen, so die Kritik des Umweltverbands BUND.

Auch die erhoffte administrative Kompetenzverlagerung der Gentechnik vom Gesundheitsministerium zum Umweltministerium, wodurch etwa die Freisetzungsentscheidungen nicht mehr vom Robert-Koch-Institut, sondern vom Umweltbundesamt getroffen würden, ist ausgeblieben. Und ein wirklicher Wandel im Forschungsetat von gentechnologischer Forschung, deren Projektmittel Ministerin Bulmahn sogar noch erheblich aufstockte, hin zur verstärkten Förderung des ökologischen Landbaus hat nicht stattgefunden. Einzig die Blockade der alten Bundesregierung für ein Biosafety-Protokoll zur völkerrechtlichen Regelung der Gentechnik wurde durchbrochen, und die Forderung bei der Kennzeichnung von Gentech-Lebensmitteln bei Aromen und Lebensmittelzusatzstoffen unterstützt.

Ökologie ist nicht alles, aber ohne Ökologie sind die Grünen nichts

„Von grüner Akzentsetzung in diesem Politikbereich kann höchstens andeutungsweise die Rede sein“, bilanzierte Ex-MdB Manuel Kiper, Grünen-Forschungspolitiker in der vergangenen Legislaturperiode, jüngst in der Kommune. Stattdessen würde die Koalition wie ihre Vorgängerregierung der Gen- und Biotechnologie „die Rolle einer strategischen Schlüsseltechnologie“ zuweisen.

Die Bündnisgrünen sollten den Verbraucherschutz zu einem ihrer Schwerpunktthemen machen, dem sich nicht nur engagierte Fachpolitiker verpflichtet fühlen. Dabei dürfen sie auch kalkulierte Konflikte nicht scheuen. In einzelnen Fragen standhaft zu bleiben, auch wenn bisweilen der Erfolg ungewiss ist, kann der Partei dennoch helfen. Vor allem aber kommt es drauf an, sich auch tatsächlich einmal durchzusetzen. Ökologie ist nicht alles. Aber ohne sie ist für die Bündnisgrünen alles nichts.

Danyel Reiche/Carsten Krebs