Friede, Freude, Fußball

Ausgerechnet Südkorea und Japan sind gemeinsam Gastgeber für die Fußball-WM 2002. Notgedrungen müssen sich die Erzfeinde miteinander arrangieren  ■   Von Christian Schaudwet

Seoul (taz) – Wenn Südkoreas Fußball-Nationalmannschaft gegen Japan verliert, ist ihr der Zorn des ganzen Landes gewiss. Die Koreaner hadern seit Jahrhunderten mit ihren asiatischen Nachbarn. Trotzdem werden sich die beiden Staaten die Fußball-Weltmeisterschaft im Jahre 2002 teilen. 32 Spiele sollen auf koreanischem, ebenso viele auf japanischem Boden stattfinden.

Die Sportfunktionäre hoffen, dass die sportliche Annäherung auch eine menschliche bringt. Zwei Weltmeisterschaftskomitees entwerfen Pläne. Je zehn Stadien sind im Bau, Werbekampagnen laufen, das offizielle Emblem ist gewählt. Die WM in Japan und Südkorea wird der erste Titelkampf sein, der in zwei Ländern ausgetragen wird. Sie findet zudem erstmalig in Asien statt, und das im neuen Jahrtausend.

Als der Weltfußballverband Fifa bekannt gab, beide Länder würden Gastgeber, waren die Japaner bestürzt. Japan bemühte sich seit 1990. Südkorea hielt ab 1994 dagegen. Ein aggressiver Wettbewerb entbrannte. Die Kontrahenten buhlten so entschlossen, dass der Weltverband ein salomonisches Urteil fällte: „Die Fifa erkannte, dass es schädlich sein würde, einen Verlierer zu haben“, sagt ihr Sprecher Andreas Herren. „Es musste zwei Gewinner geben.“ Treibende Kraft der koreanischen Bewerbung war ein Mann, der bereits die Olympischen Spiele 1988 ins Land holte: Chung Moong-Joon, seines Zeichens Multifunktionär. Er ist Präsident des koreanischen Fußballverbandes wie auch Fifa-Vizepräsident, Vize des WM-Organisationskomitees und, endlich, Vorsitzender der Hyundai-Schwerindustrie.

Der Sohn des legendären Konzerngründers Chung Ju-Young ist ein nationaler Hoffnungsträger. Er wird als künftiger Präsident gehandelt. Geschickt verleiht er dem Hyundai-Konzern die Ausstrahlung eines sportpolitischen Vorreiters: Moong-Joon will zwei WM-Spiele in Nordkorea stattfinden lassen. Hyundai pflegt bessere Kontakte nach Pjöngjang als die eigene Regierung.

Doch um die WM-Spiele im kommunistischen Norden stehe es schlecht, gibt der Konzern zu. Denn das dortige Regime hält seinen wichtigen Devisengeber Hyundai auf Distanz. Es ist unwahrscheinlich, dass der WM-Tross in Pjöngjang Station macht.

Ohnehin rief das gesamte WM-Vorhaben in Südkorea viel Skepsis hervor, denn klar war: Die Teilung der WM würde eine Serie von Kompromissen mit dem historischen Kriegsgegner Japan erfordern. Viele Koreaner tragen Japan die 35 Jahre dauernde Kolonialherrschaft (1910 – 1945) nach. Aber auch die Kränkungen und Kriege in den Jahrhunderten zuvor.

In jüngerer Vergangenheit profitierte Japan vom Koreakrieg: Die Produktion von Kriegsgütern löste Japans rasanten wirtschaftlichen Aufschwung aus. In der Besatzungszeit zwang kaiserliches Militär koreanische Frauen zur Prostitution und deportierte Koreaner als Zwangsarbeiter nach Japan. Ihre Nachfahren leben dort heute als Minderheit, die von den Japanern diskriminiert wird.

Professor Kim Kyong-Dong, Soziologe an der renommierten National University in Seoul, erzählt von seiner Jugend unter japanischer Herrschaft: „Wir lernten Japanisch in der Schule und durften in der Öffentlichkeit nicht Koreanisch sprechen.“ Und: „Jeden Morgen mussten wir uns nach Osten zum Schrein des japanischen Kaisers verneigen und einen Eid sprechen.“ Die Indoktrination war sehr wirksam. Kim erinnert sich: „Gegen Ende des Krieges wollten wir alle als Kamikaze-Piloten für Japan sterben.“

Eine Gruppe nationalistischer Geschichtsforscher fahndet immer noch nach Südkoreanern, die mit den japanischen Besatzern kooperierten. Sie arbeiten an einer Liste, um die Kollaborateure öffentlich anzuprangern.

Südkoreas Jugend aber ist frei von Revanche-Gelüsten. Sie geben sich offen gegenüber Japan. Ihr vertraut WM-Organisator Chun Young-Il: „Unsere Jugendlichen singen dieselben Lieder wie die japanischen, sie tragen japanische Mode, sie haben keine Probleme mit der Vergangenheit.“ Trotzdem sagen Skeptiker wie der Soziologe Kim voraus, die vielen Kompromisse der gemeinsamen Gastgeberschaft werden sich als große Schwierigkeit erweisen. Zumal mögliche Pannen im einen Land als Ehrverlust vor dem anderen WM-Ausrichter gelten.

Beide Staaten versprechen sich von dem prestigeträchtigen Ereignis großen Nutzen. Südkorea will mit der WM seinen Tourismus stärken. Nach Schätzungen des regierungsnahen Korea Developement Institute wird die WM dem Land 240.000 neue Jobs bringen. Nur die Wirtschaftskrise der letzten Jahre konnte Südkoreas Aufholjagd gegenüber Japan bremsen. Beide Staaten wollen die wirtschaftliche Dominanz in der Region und konkurrieren erbittert. Doch bei der Vorbereitung der Fußball-WM sind Zugeständnisse offenbar möglich: Geeinigt hat man sich über die Aufteilung der Spielrunden und über die Austragung des Endspiels – Japan bekommt es; Südkorea erhält dafür das Eröffnungsspiel am 30. Juni 2002. Auch das Maskottchen wurde schon designt. Im Herbst will man es der Welt vorstellen.

Einigkeit bewiesen Japan und Südkorea auch im Verbund mit den anderen asiatischen Fifa-Mitgliedern. Man stritt gemeinsam für einen zusätzlichen WM-Startplatz für asiatische Mannschaften. Der asiatische Fußballverband wollte 5, die Fifa aber nur 4 zugestehen – gegenüber 15 Plätzen für europäische Mannschaften. Die Asiaten drohten sogar mit Boykott.

Erst kürzlich einigte man sich auf einen Kompromiss. Die Entscheidung der Fifa: Die Europäer geben einen halben Startplatz ab. Im Klartext bedeutet das, dass ein europäisches Team und ein asiatisches eine zusätzliche Relegation gegeneinander ausspielen werden.