Amphetamine und Lautstärke versus Caipirinha

■ Hippiesk beseelter Utopieglauben in Drum 'n' Bass-Zeiten: Der Arte-Themenabend „Clubland“ ist mit seinen Partyaufnahmen weitaus geschmackvoller als der RTL2-Dome

Er war in Schwulenclubs und Lederclubs, in Strip- und Golfclubs. Jetzt sitzt er da, mit Sonnenbrille und Bomberjacke, irgendwo draußen in der Wüste von Kalifornien. Seine Haut ist gegerbt, das Haare grau, die Ohren stehen ab.

Wenig später sieht man den 47jährigen Popprofessor im Sakko und mit einem Stapel Bücher. Dick Hebdige verkörpert nicht den Hipster, der abends von Türstehern durchgewunken wird. Und doch kennen ihn von Brooklyn bis Manchester fast alle: Hebdige war einer der ersten, die in den 70er-Jahren untersuchten, wie sich unter Jugendlichen Stil herausbildet. Er ist einer der Ziehväter von Cultural Studies, war jahrelang selbst DJ und hat 1987 mit „Cut'n'Mix“ ein Buch über HipHop als Lebensform geschrieben.

Der ideale Mann also für einen Arte-Themenabend über Clubkultur. Ein bisschen Punk, der Weg durch die Diskotheken und ein paar kurze DJ-Porträts – sehr viel Neues ist dem Bildungssender zwar nicht eingefallen, um bei Viva, MTV und Bravo-TV entsprechende Zielgruppen abzuwerben. Dafür sind O-Töne und Partyaufnahmen natürlich sehr viel geschmackvoller und auch näher am Gegenstand als bei Blümchen im RTL2-Dome. Vor allem aber macht Dick Hebdige in „Land der 1000 Tänze“, Rotraut Papes Dokumentation über die Clubkultur, seine Sache als Conférencier aus dem Nachtleben einfach gut.

Mit schläfriger Stimme und echter Begeisterung erinnert sich Hebdige zurück: Man traf sich sonntags in den Klubhäusern der Kirche, um neue Tänze auszuprobieren, die Älteren kamen abends zum Engtanz. Die ersten Clubs hießen „Barbarella“, die ersten Drogen „Alkohol“ und „Gras“, und selbst die ersten Skinheads mochten noch Anfang der 70er mit afrobritischen Emigranten gemeinsam Ska tanzen.

Der erzählerische Beat, den Hebdige dabei einschlägt, wird blitzschnell von Pape mit Dokumentarbildern gekoppelt: Sex und Gewalt gehörten zum Programm des Punk, Gender wurde durch Disco aufgehoben, und die Love Parade ist für Hebdige noch immer ein Widerschein der osteuropäischen Demokratiebewegung – von der Montagsdemo bis zum Tiergarten-Rave tanzen alle auf derselben Party. Darin mag man Hebdige hippiesk beseelten Utopieglauben erkennen, doch schon in der nächsten Szene trinkt er wieder weltgewandt in der Bronx zu Drum'n'Bass Caipirinha.

Richard Blank und Tom Verlaine sind da ganz anders. Als sie nach New York kamen, wollten sie sich zum Rest der Welt abgrenzen. Sie taten sich mit Patti Smith zusammen, teilten Bett und Schreibmaschine, bewunderten Beat und Burroughs. In Christoph Drehers „House of the Rising Punk“ wird noch einmal erzählt, dass die Härte der New Yorker Straßen Punk mehr geprägt hat als der Londoner Modedesigner Malcolm McLaren.

Dafür fährt Dreher dutzendweise Zeitzeugen auf: Der Filmemacher Jim Jarmusch mochte die agressiven Suicide-Auftritte, Amos Poe stand mehr auf Talking Heads oder Blondie und ihre hübschen Girlie-Balladen. Ansonsten vertraute man auf Amphetamine und Lautstärke, weil man eh nicht wusste, „was eine Strophe oder ein Refrain ist“, wie DeeDee Ramone auf seinem Balkon philosophiert. Bei alledem ist es stets der Club CBGBs an der Bowery, der die Einzelgänger zusammenhält. Er existiert noch immer, nur dass dort heute die Lebensentwürfe in Zeiten nach Nirvana nicht mehr als Punk, sondern independent in Szene gesetzt werden.

Der beste Klub aber heißt 2000 und liegt in Berlin-Marzahn. Der dazugehörige Kurzfilm von Nina Fischer & Maroan El Sani beginnt aber erst um 00.35 Uhr. Und da sind die meisten entweder schlafen oder auf der Piste.

Harald Fricke
‚/B‘ Themenabend Clubland: „Pop Odyssee“ (22 Uhr); „Land der 1000 Tänze“ (23 Uhr); „In the Mix“ (23.35 Uhr); „Autoreverse“ (0.15 Uhr); „Klub 2000“ (0.35 Uhr) Foto: Arte