Safwan Eid vor Freispruch

Zwischenbilanz im zweiten Prozess wegen Branstiftung in einem Lübecker Flüchtlingsheim: Keine Anhaltspunkte für Verurteilung  ■   Aus Kiel Heike Haarhoff

Der Vorsitzende Richter Jochen Strebos wartete gestern ungewöhnlich lange, bevor er Anklage, Verteidigung, Nebenklägern und Publikum im Kieler Landgericht bedeutete, Platz zu nehmen. Die besondere Feierlichkeit des Rituals war begründet: Im Prozess um den Brand in einem Lübecker Flüchtlingsheim im Januar 1996 wolle die Kammer eine „Würdigung“ der bisherigen Beweisaufnahme abgeben, so Strebos. Die wichtigsten vier Worte seiner Zwischenbilanz: „... wäre der Angeklagte freizusprechen“.

Sämtliche Indizien, die das Gericht bislang zu bewerten hatte, ließen „keinen hinreichenden Schluss zu, ob und in welcher Weise der Angeklagte an einer Täterschaft beteiligt gewesen sei“, erklärte Strebos. Bereits der erste Prozess gegen den heute 23-jährigen Libanesen war im Juni 1997 mit einem Freispruch aus Mangel an Beweisen ausgegangen. Im jetzigen zweiten Prozess muss das Gericht vor allem Gespräche bewerten, die Eid mit seinen Familienangehörigen während seiner Untersuchungshaft führte und die ohne sein Wissen mitgeschnitten wurden. Diese Abhörprotokolle waren im ersten Prozess noch nicht als Beweismittel erlaubt gewesen. Doch auch diese Protokolle, um deren Übersetzung aus dem Arabischen sich zwei Sprachsachverständige wochenlang bemüht hatten, enthielten weder „belastende Indizien, geschweige denn ein Tateingeständnis“.

„Unzählige Male“ habe der Angeklagte seine Unschuld beteuert; „keine Anhaltspunkte“ dagegen gebe es für Streitereien zwischen Eid und anderen Hausbewohnern, die von Staatsanwaltschaft und Nebenklägern als Tatmotiv angeführt worden waren. Sachverständige der Aussagepsychologie hätten zudem Eids Schilderung von der Brandnacht als „sehr plastisch und eng verwoben mit seinen eigenen Gefühlen“ bewertet. Eine „konstruierte Darstellung“ sei daher unwahrscheinlich.

Auch die weiteren Indizien, die noch im ersten Prozess als belastend gewertet worden waren, entkräftete Strebos. So sei es „kein Täterhinweis“, wenn Eid nach dem Brand in dem Haus, in dem er ja selbst gelebt habe, seinen rußgeschwärzten Kaftan weggeworfen habe. Gleiches gelte für die bloße Existenz eines Benzinkanisters in der Wohnung des Angeklagten, „dessen Verwendung nicht festgestellt wurde“. Die Aussage „wir warn's“, die Eid noch in der Brandnacht gegenüber einem Sanitäter gemacht haben soll, werde zwar von der Kammer nicht angezweifelt. Doch auch sie lasse keine „konkrete Feststellung zur Täterbeteiligung“ zu. Denn wer mit „wir“ gemeint sei, sei unklar. Den Rettungssanitäter erneut als Zeugen zu befragen, lehnte der Richter ab: „Auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen kommt es nicht an.“

Die Verteidigung erklärte gestern, sie freue sich, dass Safwan Eid „anhand der Realitäten beurteilt“ werde. Der zweite Prozess sei ebenso unnötig und überflüssig wie der erste. Nicht einverstanden mit dieser Bilanz sind die Nebenkläger, die sich weitere Beweismittelanträge vorbehalten.

Das Gericht kündigte unterdessen an, nur noch einige Vernehmungs-, Spurensicherungs- und Kriminalbeamte als Zeugen laden zu wollen. Sollte sich aus deren Aussagen jedoch nichts Belastendes ergeben, dann „wäre der Angeklagte freizusprechen“.