■ Kommentar
: Realitätsverlust  Rot-Grün versucht, die Berlin-Wahl schönzureden

Maßgebliche Stimmen von SPD und Bündnisgrünen, unter ihnen der Bundeskanzler, sehen im Ergebnis der Berliner Landtagswahl den Anfang einer Trendwende zu ihren Gunsten. Anders ausgedrückt: Die Erde ist eine Scheibe. Die SPD hat ihr historisches Nachkriegstief von 1995, das seinerzeit ungläubiges Entsetzen in ihren Reihen hervorgerufen hatte, noch einmal um 1,2 Prozent unterschritten. Die Grünen haben genau ein Viertel ihrer damaligen Wahlprozente eingebüßt. Wer ein solches Ergebnis schönzureden versucht, leidet unter Realitätsverlust.

Nicht nur im Blick auf Wahlergebnisse, sondern auch hinsichtlich der möglichen Ursachen ihrer Niederlagen scheinen die Koalitionsparteien entschlossen zu sein, die Wirklichkeit nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen. Besonders eindrucksvoll zeigt sich das an der Tabuisierung des Kosovo-Konflikts seitens der Grünen.

Die Haltung zur deutschen Beteiligung an den Nato-Angriffen auf Jugoslawien drohte noch vor wenigen Monaten die Partei zu spalten. Wahlforscher und Umfragen bestätigen, dass ein großer Teil der Stammwähler den Grünen wegen ihres Positionswechsels in dieser Frage die Stimme versagt. Aber statt sich mit Kritikern auseinanderzusetzen und den künftigen Kurs zu diskutieren, schweigt die bündnisgrüne Führungsspitze das Thema einfach tot – so, als habe der Krieg nicht stattgefunden, wenn nicht über ihn gesprochen wird. Das Verhalten erinnert an kleine Kinder, die glauben, sie seien nicht zu sehen, sobald sie sich die Hand vor die Augen halten.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass die FDP zur Splitterpartei wird, ist nicht mehr auszuschließen, daß im nächsten Bundestag nur noch die großen Volksparteien und die PDS vertreten sein werden. Wenn nicht künftig jede Wahl zu einer Großen Koalition führen soll, was dem Geiste des Parlamentarismus widerspräche, dann müssten CDU und SPD ihr Verhältnis zur PDS ändern.

Deren führende Vertreter haben recht, wenn sie sagen, die PDS könne nicht länger als „Schmuddelpartei“ weggestoßen werden. Es muß den Westdeutschen nicht gefallen, daß die Ostdeutschen anders wählen als sie selbst. Aber zur deutschen Einheit gehört eben auch deren Recht darauf. Und die Pflicht, den jeweils anderen den demokratischen Respekt nicht zu versagen. Bettina Gaus