Betteln in Bronze

■ Das Paula-Modersohn-Becker-Haus zeigt jetzt neun neu erworbene Bronzefiguren des Bildhauers Bernhard Hoetger

Zum ersten Mal wurden für eine Präsentation die Vorhänge von den Fenstern der Ausstellungsräume des Paula-Modersohn-Becker-Museums abgenommen: Bernhard Hoetgers Bronzefiguren, die seit gestern hier ausgestellt werden, benötigen die volle Kraft des Tageslichts. So kann der sehnsüchtige Blick aus dem zur linken Seite gewandten Gesicht des „Weiblichen Halbakts mit erhobenen Armen“ über die Dächer von Bremens Altstadt schweifen – gleichzeitig wird auch auf die in die Mauern des Museumsgebäudes eingefügten Außenskulpturen Hoetgers aufmerksam gemacht, so dass sich die Ausstellung nicht auf die Räume beschränkt.

Die erwähnte Aktfigur stammt aus einer schon seit längerem im Bestand des Museums befindlichen Hoetger-Sammlung, die jetzt durch neun neu erworbene Objekte ergänzt wurde. Die Neuerwerbungen, acht kleine Bronzen und eine Figurengruppe aus glasiertem Steingut, stammen bis auf eine Ausnahme aus der Zeit zwischen 1900 und 1904 und wurden aus Mitteln der Kunst- und Kulturstiftung der Sparkasse erworben. Für die gestern eröffnete Sonderausstellung hat sie das Museum nach thematischen und ästhetischen Aspekten abgestimmt in den Rahmen des alten Bestandes eingefügt.

Durch diese Anordnung werden vor allem die beiden gegensätzlichen Tendenzen der frühen Pariser Phase Hoetgers einander gegenübergestellt. So zeugen beispielsweise nicht nur die Motive der kleinen Vitrinenfiguren „Alte Bretonin“, „Kartoffelleserin“, „Bettler“ oder auch die größere Skulptur „Lastträger“ von der Mühsal schwerer körperlicher Arbeit, sondern vor allem auch ihre Machweise: Durch dellenartige Einbuchtungen, Schrammen und Fingerabdrücke wird an den Entstehungsprozess der Bronzen erinnert. Diese sprichwörtlichen „Ecken und Kanten“ finden sich im übertragenen Sinne auch im Ausdruck der abgebildeten Arbeiter, deren Blick und Haltung Individualität und Charakter verraten. Ganz anders das neuerworbene, ebenfalls von 1936 stammende Selbstbildnis Hoetgers: nicht nur durch seine geschlossenen Augen, sondern auch durch die plastische Form eines beinahe vollkommenen Ovals, n das alle Einzelteile hier eingefügt sind, strahlt diese Skulptur Nachdenklichkeit und Ruhe aus.

Eine Vereinigung dieser beiden Stile Hoetgers – des harmonischen, zurückgenommenen und sensiblen auf der einen, des kraftvollen und derben auf der anderen Seite – findet sich in der ebenfalls neu erworbenen Bronze der Serpentintänzerin Loie Fuller: Ihr fliegendes Kleid, durch das die Kreisbewegung nachvollziehbar gemacht wird, vermittelt Energie und Schwung, und trotzdem wirkt die Figur dieser Tänzerin, auch durch die zarte Glätte und die glänzende Oberfläche, in sich geschlossen - so wie auch ihr weites Kleid ein geschlossenes Rund um sie herum bildet.

Nachvollziehbar wird in dieser Ausstellung auch, weshalb dieser Künstler bei den Nationalsozialisten keinen Erfolg haben konnte. Einerseits zu wenig pathetisch – Hoetger ging jeglicher Hang zum Heldischen ab – andererseits zu expressiv war ihnen das Werk dieses Avantgarde-Künstlers. Dabei hätte Hoetger durchaus gerne für die Nazis gearbeitet – so wie er sich auch anderen politischen Zeitströmen und künstlerischen Moden gegenüber meist völlig unkritisch verhielt. Anstatt Tendenzen zu hinterfragen, war der Künstler vielmehr stets mit Nachdruck bemüht, sich aus den gegebenen Vorbildern jene Elemente herauszupicken, die ihm gerade in sein persönliches Konzept passten. Künstler und Privatperson sind bei Hoetger nicht zu trennen. Nicht zuletzt wird dies in seiner 1906 entstandenen Skulptur „Eva auf dem Löwen“ deutlich: Denn die zur Mutterfigur und zum Fruchtbarkeitssymbol stilisierte Figur zeugt nicht nur in ihre Natursymbolik vom Eklektitismus des Hoetgerschen Werkes, sondern weist auch auf die Beziehung des Künstlers zu seiner späteren Frau hin, die er bekanntlich in diesem Jahr kennenlernte. Mona Clerico Bis zum 7.11. im Paula Modersohn-Becker Museum zu sehen