Ticket für das Abstellgleis

■  Nach dem Wahldesaster der SPD begehren junge SPD-Politiker auf und fordern in einem Papier die Rundumerneuerung der Partei. Walter Momper bekommt die volle Packung

Nach der verheerenden Wahlniederlage brechen bei der SPD alle Dämme. Junge SPD-Funktionäre werfen ihrer Partei in einer Streitschrift mit dem Namen „Erneuerung jetzt“ vor: „Sie ist geistig ausgelaugt, personell ausgedünnt und überaltert.“

Dass auch der gescheiterte Spitzenkandidat Walter Momper entsorgt werden soll, wird zwar nicht ausdrücklich gefordert, ist aber gemeint. SPD-Landesvorstandsmitglied Thomas Härtel forderte ihn auf, Konsequenzen zu ziehen: „Ich erwarte, dass auch der Spitzenkandidat etwas über seine neue Rolle sagt.“ Auch auf der Sitzung des Landesvorstandes am Montag Abend prügelte fast jeder verbal auf Momper ein. „Momper kann nicht Hoffnungsträger für die Zukunft sein“, sagt der bisherige SPD-Finanzstaatssekretär Frank Bielka. Aus führenden SPD-Kreisen hieß es sogar, Momper sei der „zehn Jahre währende Alptraum der SPD“.

In dem Diskussionspapier, das bereits 150 Genossen unterschrieben haben, fordern der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Christian Gaebler, der Kreuzberger Kreisvorsitzende Andreas Matthae und das Landesvorstandsmitglied Kerstin Raschke eine radikale Erneuerung der Partei. „So wie bisher kann es nicht weitergehen“, bilanzierte Matthae gegenüber der taz.

Die SPD ist faktisch keine Volkspartei mehr“, beklagt sich der Nachwuchs über den Zustand der SPD, die am Sonntag mit dem Ergebnis von 22,4 Prozent auf ihrem historischen Tiefpunkt angelangt ist. Jetzt, so der Willen der Autoren, soll der Wechsel her, müssen Köpfe rollen: „Wir sind davon überzeugt, dass ein politischer Neuanfang ohne radikale inhaltliche und personelle Erneuerung scheitern wird.“

Die SPD habe im Wahlkampf „fragwürdige politische Botschaften“ im Angebot geführt. Besonders die rigide Kürzungspolitik der Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing stößt den Kritikern sauer auf: „Eigenständiges Profil wurde in der Großen Koalition nur über Kürzungspolitik vermittelt.“ Außerdem monieren die Verfasser, die SPD habe sich „zur Mehrheitsbeschafferin degradieren lassen und den Kompromiss um jeden Preis gesucht“. Das Angebot von politischen Alternativen zur CDU hätten die Sozialdemokraten den Grünen und der PDS überlassen.

Auf der Sitzung des Landesausschusses am Samstag wollen es die Kritiker krachen lassen. Dann soll über die „provokanten Thesen“ (Matthae) diskutiert werden. Bisher jedoch wollen die Genossen von einer Auseinandersetzung nichts wissen. Auf einer Tagung des Landesausschusses am Montagabend wurde das Papier nicht diskutiert. Wie es hieß, aus Zeitgründen.

Am Samstag will die SPD entscheiden, ob die Große Koalition mit der CDU fortgesetzt wird. SPD-Fraktionschef Klaus Böger hat eine „zügige und sorgfältige Entscheidung“ versprochen. Parteichef Peter Strieder gibt die Parole „Geschlossenheit geht vor Schnelligkeit“ aus.

Eilig hat es auch die CDU – sie will die Große Koalition so schnell wie möglich unter Dach und Fach bringen, weil ihr sonst die schwierige Aufgabe einer Minderheitsregierung bevorsteht. CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky hat von der SPD Staatsverantwortung statt „Desperado-Bewusstsein“ verlangt.

Andreas Spannbauer