Das Poesiealbum-Prinzip

Pop-Prosa und Migranten-Rap: Zwei neue Anthologien wollen junge deutsche Literatur definieren – und dokumentieren doch nur eitle Selbstbezogenheit  ■ Von Daniel Bax

Der Sammelband zum Hype, der Sampler der Saison, einmal aus der Gattung Pop-Literatur, einmal aus der Sparte neuer deutscher Kanaken-Rap. Oder, wie es auf dem Umschlag zu „Kanaksta“ umständlich heißt, „Geschichten von deutschen und anderen Ausländern“. Aha. Oder besser: oje. Denn obwohl beide Bücher junge deutsche Literatur enthalten, scheint der Grenzverlauf nach wie vor unverrückbar: Hier der neue deutsche Medienadel, der seinen Anspruch auf die Thronfolge geltend macht, dort die Underdogs aus der Schmuddelecke, die immer noch „Migrantenliteratur“ genannt wird.

„Mesopotamia“ heißt eine Anthologie, herausgegeben von Christian Kracht, mit Kurzgeschichten seiner Lieblingskollegen. Benjamin von Stuckrad-Barre, Eckhart Nickel und Elke Naters sind darunter, und Rainald Goetz steuerte ein paar Partyschnappschüsse bei, auf denen einige der Anthologie-Autoren beim Feiern (ihrer selbst?) abgelichtet sind. Eitle Selbstreferenz, die Joachim Bessing noch auf die Spitze treibt mit einem Bericht von der Frankfurter Buchmesse, in dem unter anderem „Benjamin“, „Christian“ und Rainald Goetz auftreten. Ansonsten sind die diversen Geschichten kaum auf einen Nenner zu bringen, doch finden sich wiederkehrende Motive – nicht nur, weil die Autoren überdurchschnittlich oft ein adliges „von“ im Namen tragen und gerne Bangkok als Zweitwohnsitz angeben.

So mondän und distinguiert präsentieren sich auch die Erzählungen, die mal in Davos, auf Malta oder Sri Lanka spielen. Deutschland scheint wenig mehr als ein kollektiver Freizeitpark für die Kinder von Kohl und Coca-Cola, die Welt bestenfalls ein „Semifolklorefreibad“ (Stuckrad-Barre), in dem selbstverliebte Dekadenz und blasierter Zynismus zur Schau getragen werden. Die Hölle, das sind die anderen, so die Attitüde.

Je mehr sich die Ich-Erzähler dabei in der Lebenswelt der Autoren zu bewegen scheinen, desto präziser fallen die Erzählungen aus. Die Fähigkeit dagegen, sich in eine gänzlich andere Rolle hinein zu denken, scheint bei den meisten Jungliteraten eher unterentwickelt. Peinlich wird das beispielsweise bei Eva Munz, die sich einen schwulen Liebhaber des kroatischen Botschafters in Neu-Delhi am Schreibtisch zurechtgelegt hat. Das liest sich dann so, wie es klingt: als wär's ein Stück von Konsalik. Überzeugender sind die Texte, die nicht in die weite Welt schweifen, sondern das Alltägliche beschreiben: Stuckrad-Barre etwa erzählt so unprätentiös wie es ihm möglich ist von einem durchgejobbten Sommer, und Elke Naters zeichnet eine gruppendynamische Urlaubsneurose nach.

Handelt „Mesopotamia“ vom Deutschen in der Fremde, so will „Kanaksta“ vom Fremdeln in Deutschland erzählen. Auch hier galt bei der Zusammenstellung offenbar das Poesialbum-Prinzip: Jeder darf mal. Zumindest wirkt die Mischung reichlich wirr und ohne Konzept zusammengestoppelt: biografische Erzählungen, Interviewschnipsel, Kurzgeschichten und Besinnungsaufsätze stehen nebeneinander. Feridun Zaimoglu, dessen Bücher „Kanak Sprak“ und „Abschaum“ zum Besten gehören, was an neuer Literatur in den letzten Jahren zu lesen war, der aber trotzdem nie in einem Atemzug mit all den anderen Jungautoren genannt wird, er bürgt hier mit seinem Namen für ein halbgares Projekt. Denn was auf dem ersten Blick wie das Manifest einer selbstbewussten Migrantengeneration daherkommt, bietet, bis auf Ausnahmen, wenig mehr als eine vorhersehbare Ansammlung von Selbstmitleid, Selbstbefragung und altbackenen Reflexionen über kulturelle Unterschiede. Von frischem Wind ist nur wenig zu spüren.

„Stehen hinter Feridun Zaimoglu tausend andere?“, fragt Joachim Lottmann, der Herausgeber, an einer Stelle. Nein, offenbar nicht, weswegen man zu den Abiturtürken und –ausländern noch ein paar Abiturdeutsche dazu genommen hat, um das Buch voll zu machen. Ein Kanaksta zu sein sei nämlich „keine Frage der Nationalität, sondern eine des Kopfes“, heißt es dazu auf dem Buchrücken, was natürlich Blödsinn ist, weil es Beliebigkeit meint. Vor dieser braven Kanakenbewegung braucht jedenfalls niemand Angst zu haben. Schade eigentlich, wo die selbstzufriedenen Pop-Schreiber doch so viel Angriffsfläche bieten.

Christian Kracht (Hg.): „Mesopotamia. Ernste Geschichten am Ende des Jahrtausends“. Deutsche Verlags-Anstalt 1999. 335 Seiten. 39,80 DM

Joachim Lottmann (Hg.): „Kanaksta. Geschichten von deutschen und anderen Ausländern“. Quadriga Verlag. 208 Seiten. 28 DM