Die Generation Z und das Ende dieser Welt

Neue Werte, intensives Leben und ein Ende der großen Einsamkeit: Endzeitliches zum Jahreswechsel von Michel Houellebecq, Douglas Coupland und Ludger Lütkehaus  ■   Von Volker Weidermann

Statt der Suche nach Inspiration gab es Lorazepam. Und Überstunden. Und Whiskey. Und Schweigen.

Wo bleibt sie denn, die Endzeitstimmung? Die Untergangsangst, die Furcht vor dem großen Weltenbrand? Ein Jahrtausend geht zu Ende, und die größte kollektive Sorge scheint die Suche nach dem angemessenen Sylvester-Feierort zu sein. Die westliche Welt hat bis in die späten 80er-Jahre hinein ihre Untergangsängste gründlich ausgelebt. Die 90er waren ein Jahrzehnt der Erholung von der allgemeinen Bedrohung. Und so erscheint die Jahrtausendwende einfach als ein weiteres Ereignis, das individuell so Aufsehen erregend wie möglich zu inszenieren sein wird. Keine Panik, nirgendwo.

Doch das Weltenende naht. Es kommt leise und unspektakulär. In zwei bemerkenswerten Untergangsbüchern, die jetzt, pünktlich zur Zeitenwende auf Deutsch erschienen sind. Douglas Couplands „Girlfriend in a coma“ und Michel Houellebecqs „Elementarteilchen“ schildern das Ende der Menschheit als schleichende Selbstabschaffung. Und Ludger Lütkehaus hat unter dem schönen Titel „Nichts“ ein Rezeptbuch gegen solche Fantasien geschrieben.

Michel Houellebecq hat in Frankreich mit seinem Buch einen Literaturskandal ausgelöst, wie ihn das Land seit Louis Ferdinand Céline nicht mehr gesehen hat. Faschist, Frauenfeind und Förderer von Euthanasie-Programmen nennt man ihn. Die Debatte erinnert in manchen Zügen an die hysterische Schlagwortbewerfung, die sich in Deutschland gerade um die Menschenzüchtungspläne Peter Sloterdijks abspielt. Und tatsächlich geht es hier um ähnliche Dinge. Doch während Sloterdijk vom Projekt einer Menschenverbesserung spricht, das er vom Auftrag der Aufklärung gedeckt sieht, geht es Houellebecq um Erlösung.

Und die ist nur mit der Abschaffung der Menschheit zu haben. Nicht gewaltsam und brutal. Nein, die Menschen, wie Houellebecq sie sieht, leiden so sehr unter dem Lebensdienst, dass sie ihrem eigenen Ende nur zu gerne zustim-men: „Es ist durchaus über-raschend mit welcher Ruhe, welcher Resignation und vielleicht sogar insgeheimer Erleichterung die Menschen ihrem eigenen Verschwinden zugestimmt haben“, heißt es am Ende des Romans, als das neu geschaffene Wesen, das die Menschen ablöst, längst zum Erdenalltag gehört. Mittels Biotechnologie war es gelungen, „einer neuen, geschlechtslosen, unsterblichen Spezies das Leben (zu) schenken, die die Trennung und das Werden überwunden hat“.

Diese neue Spezies hat Michel geschaffen. Die Halbbrüder Michel und Bruno sind die beiden unglücklichen Hauptfiguren des Romans. Früh von ihrer Rabenmutter verlassen, die, 68erin, sich ganz der Selbstverwirklichung hingab, werden die beiden durch elterlichen Liebesentzug seelisch verkrüppelt, zu menschlichen Monstern: Bruno ist ein perverser, sexbesessener Maniac, Michel ein autistischer, aber genialer Biotechnologe. Beide sind unendlich einsam und unendlich unglücklich. Und Michel wird zum Heilsbringer, der mittels gentechnischer Weltformel die Weichen zur Schaffung jenes neuen Wesens stellt.

Houellebecq hat ein streckenweise brillantes Buch geschrieben. In der Psyche der beiden Untergeher kennt er sich aus, als sei es seine eigene. Die Sehnsucht nach dem Ende der Einsamkeit, nach dem Ende der totalen Freiheit, die nur als Last, als bedrückende Leere empfunden wird, schildert er mit außergewöhnlicher Kraft und Eindringlichkeit. Aber das Buch wird schwach und außerdem politisch bedenklich, wenn das Leiden der Helden zum Leiden der ganzen westlichen Welt heraufgedeutet werden soll: Wenn der Wunsch nach Selbstabschaffung zum Wunsch nach Weltabschaffung wird, wenn die Welt ein „bestialisches Gewimmel“, die Freiheit eine „furchtbare Erfahrung“ und die Individualität die „Quelle all unserer Leiden“ genannt wird, sind das nur die Behauptungen eines politischen Agitators.

Dass Houellebecq all das ernst meint, kann man in dem Essayband nachlesen, der zeitgleich auf Deutsch erschienen ist. Hier ist er ganz und unverfälscht, der politische Romantiker Houellebecq, der den Liberalismus hasst und die Aufklärung verachtet, weil sie den Menschen den Sinn für „das Heilige“ genommen haben, für „Tiefe“, „Wahrheit“ und „Beständigkeit“. Der Unheilseher, der die Menschheit in den Ruin stürzen sieht und ihr noch hinterhertritt, weil alles, was danach kommt, nur besser sein kann als die „beklemmende Gegenwart“. Es ist sicherlich kein politischer Alarmismus, sich angesichts der Bücher Houellebecqs an die romantische Untergangsdeliranten unter den Expressionisten oder „Konservativen Revolutionären“ in Deutschland aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts zu erinnern, die sich begeistert in das große Abenteuer Erster Weltkrieg stürzten oder später in den Massenaufmärschen des „Dritten Reichs“ die ersehnte Erlösung vom Ich zu finden hofften. Auch Houellebecq will Weltbrandstifter sein.

In dem zweiten Buch, das vom Weltenende zur Jahrtausendwende berichtet, geht es nicht um Erlösung vom Ich. Aber einsam sind die Menschen in Douglas Couplands „Girlfriend in a coma“ alle auch. Die „Generation X“, Titel und Programm des Romans, mit dem Coupland zum Star wurde, ist alt geworden. Dabei sind sie erst Ende dreißig. Aber ihr Leben ist leer, ohne Sinn und Zweck, ohne gemeinschaftliches Projekt und ohne Erwartung. Sie glotzen Videos, essen Junkfood, probieren neue Drogen und unterschiedliche Jobs, fahren suchend in die Welt und finden nichts. Dann plötzlich, ohne rechten Grund, schläft die Menschheit ein und stirbt. Nur der kleine Freundeskreis der Generation X bleibt übrig. Sie sind die letzten. Die „Generation Z“.

Der Kanadier Coupland kennt seine Generation. Das unterscheidet ihn von Houellebecq. Er schließt nicht von zwei durchgeknallten Außenseitertypen, die, weil sie nicht dazugehören, die Menschheit vernichten wollen, auf die Stimmung der Welt. Er beschreibt seine Generation. Seit neun Jahren. Er wird mit ihr älter. Und er sieht sich, gemeinsam mit ihr jetzt, in ihren späten Dreißigern, an ein Ende gekommen. „Wir alle waren etliche Jahre nach dem Ende unserer Jugend aufgewacht und fühlten uns nun schäbig und spröde.“ Der Spaß verdeckt nur die Hysterie und die Leere, die dahinter liegt, sie hetzen durchs Leben und wissen nicht, warum. „Statt der Suche nach Inspiration und intellektuellen Impulsen gab es für (sie) Lorazepam. Und Überstunden. Und Johnny Walker. Und Schweigen.“

Auch das Weltenende reißt sie zunächst nicht aus ihrer Lethargie. Sie sind übrig geblieben und fragen sich nicht einmal, warum. Bis ein Engel ihnen die Sinnlosigkeit ihres Lebenswandels vorwirft („Ihr seid Bienen, die Schnittblumen bestäuben“ – kann man's schöner sagen?) und Wege zur Rettung der Welt vorträgt. Und während es bei Houellebecq heißt: „Die Wandlung findet nicht im Geist statt, sondern in den Genen“, teilt der Engel der Generation Z knapp mit: „Hoch die Ärsche. Rückt zusammen!“ Ihr könnt die Welt zurückbekommen. Ihr müsst es nur wollen.

Die Generation Z will. Die schleichende Angst, am Ende des Lebens vielleicht mit einem vollkommen nutzlosen Lebenslauf dazustehen, lässt sich selbst mit dem bewährtem Zynismus nicht mehr verdrängen. Und ihr Engel erläutert die neuen Regeln: Ihr Leben muss wirklicher, intensiver, bewusster, gemeinschaftlicher werden. Sie sollen alles verändern, alles infrage stellen. Es soll keine unreflektierten Überzeugungen mehr geben. Es ist eine Möglichkeitswelt. Wir können sie gemeinsam gestalten: „Wenn ihr nicht jeden wachen Moment eures Lebens damit verbringt, (...) den Kadaver der alten Ordnung abzukochen –, dann verschwendet ihr eure Zeit.“ Couplands Weltuntergang ist eine Art revolutionsromantischer Weckruf für seine Generation, eine Erinnerung daran, dass das Leben auch nach dem Ende der Jugend noch Beweglichkeit bedeuten muss, wenn wir diese Welt verändern wollen. Das ist durchgängig sympathisch, hoch moralisch, selten peinlich und politisch nie beunruhigend.

„Trotzdem, trotzdem, das bleibt bedenklich“, würde vermutlich der Freiburger Philosophieprofessor Ludger Lütkehaus jetzt einwenden. Untergangsszenarien aller Art, die die Suche nach Lebenssinn zu einer Frage auf Leben und Tod machen, bewirken nie Gutes: Lütkehaus empfiehlt in seinem fulminanten Philosophiegeschichtswerk „Nichts“ Entspannung bei der Sinnsuche: Das „Nichts“ müsse endlich als positives Element Eingang ins westliche Denken finden. Die Schaffens-, Seins- und Sinnobsessionen führten nur zu Verkrampfung, Angst und Untergang: Nihilismus ist die Antwort, vollendeter Nihilismus, der sich nicht ans Leben klammert und das Dasein mit dem Tod versöhnt. Der Nihilismus, so Lüdkehaus, ist das zuverlässigste Mittel zur Überwindung der Furcht. Der Furcht vor dem Tod, der Furcht vor der Jahrtausendwende. Der wahre Nihilist sieht dem neuen Millennium höchst entspannt entgegen. Und entspannt ist sein Leben auch noch lange danach. Auf dieser Welt. Oder anderswo.

Michel Houellebecq: „Elementarteilchen“. DuMont 1999. 356 Seiten. 44 DM; „Die Welt als Supermarkt“. DuMont 1999. 100 Seiten. 29,80 DM Douglas Coupland: „Girlfriend in a coma“. Hoffmann & Campe 1999. 351 Seiten. 39,90 DM Ludger Lütkehaus: „Nichts“. Haffmanns Verlag 1999. 768 Seiten. 50 DM