Tafelrunde in der Non-Stop-Bar

Mit drei Aufführungen meldet sich Christoph Hein wieder als Dramatiker zurück – mit zwiespältigem Ergebnis  ■   Von Hartmut Krug

Theaterstücke über unsere Zeit müssen keine Zeitstücke sein. Die Geschichtsstücke und dramatischen Parabeln, die Christoph Hein in der DDR schrieb, waren immer auch Stücke über die DDR, auch wenn ihr Schauplatz in fernen Zeiten oder Ländern lag. Als die „Ritter der Tafelrunde“ im April 1989 in Dresden uraufgeführt wurden, da erschien Christoph Heins Version der Legende als eine Art Endspiel der DDR. Der Kabinettstisch in der Artusburg wurde weggeräumt: „Es schafft Platz zum Atmen, Vater“, sagte der junge Mordret dem alten Artus zum Schluss und antwortete selbstbewusst auf dessen Hinweis „Ich habe Angst, Mordret. Du wirst viel zerstören“ mit einem lakonischen „Ja, Vater.“

Christoph Hein hat eine Weile gewartet, bevor er sich wieder als Dramatiker zu Wort meldete. 1994 kam am Staatsschauspiel Dresden mit „Randow“ ein Stück heraus, das einen Westler beim Versuch zeigt, einer Ostdeutschen ihr Haus fortzunehmen. Daneben wurden noch verhandelt: Ausländerfeindlichkeit und historischer Faschismus, Stasi und Rechtsradikalismus. Sehr viel auf einmal, doch weder vermochte Hein die Probleme und Haltungen aus seinen Figuren heraus zu verdeutlichen, noch gelang es der Dresdner Inszenierung, den Figuren biografische und soziale Prägung zu geben. Deutlich wurde dabei das Problem des Dramatikers Christoph Hein, wenn er nicht mehr Parabeln, sondern Stücke aus oder über den Alltag von Menschen schreibt: Sie wirken mit ihrem unspektakulären und unspekulativen poetischen Realismus recht holzschnitthaft, ohne es immer zu sein. Hein ist ein analytischer und bedächtiger politischer Kopf, kein politisierender Autor. Er ist ein sorgfältiger Beobachter, für dessen sprachlich so ungeheuer selbstverständlich wirkenden souveränen Realismus die Theater in unserer Zeit der Dekonstruktionen und Zertrümmerungen noch keine Form gefunden haben.

In diesem Jahr meldete sich der Dramatiker Christoph Hein mit gleich drei Uraufführungen auf der Theaterszene zurück. Im März kam in Düsseldorf „Bruch“ heraus: Das Stück verhandelt an der historischen Figur des Chirurgen Sauerbruch das grundsätzliche und zugleich aktuelle Problem von Brüchen in Biografien. Auch hier tat sich das Theater mit Heins sorgfältigem Dialog-Parlando, mit seinem geschliffenen Kammerspielton sehr schwer. Im folgenden Stück „In Acht und Bann“ tagen die alten Männer aus „Die Ritter der Tafelrunde“ in neuer Zeit mit alten Ritualen, nur sitzen sie jetzt im Gefängnis. Die Weimarer Uraufführung Ende April verspielte das Stück wirkungssüchtig ans Kabarett und demonstrierte damit, dass die politisch eindeutige Mehrdeutigkeit, die den „Rittern der Tafelrunde“ in der Endzeit der DDR ihren auch ästhetischen Mehrwert einbrachten, nun bei „In Acht und Bann“ fehlt. Zwar spielt Hein virtuos mit seinem alten Text, er setzt die Ritter mit alten Überzeugungen, neu angewandt, in das helle Licht aufklärerischer Komik: Doch die Statik der Beziehungsrituale und die überraschungslose Eindeutigkeit der Situationen und Figuren lässt „In Acht und Bann“ wie eine Klischee-Montage erscheinen.

Genau dieses Problem tauchte bei der Uraufführung zweier Einakter am vergangenen Wochenende in Chemnitz wieder auf. Hein hat sich dabei erstmals an das Genre des Lustspiels gewagt. In „Zaungäste“ beobachten zwei ältere Damen im Mai 1968 aus einem Café die mit Sitzstreik und Gesang friedlich gegen die beabsichtigte Sprengung der Paulikirche demonstrierenden Studenten. Mit einem weltkriegserfahren stichelnden Rentner, einem „Geheimen“, einem leicht gegen den Spitzel löckenden Kellner und den beiden Witwen wird eine Menschengruppe gezeigt, die sich vor allem mit privaten Problemen beschäftigt. Woher kommt das Sparbuch des Toten, wer schrieb die Liebesbriefe an ihn, wie bekommt der Spitzel seine Krümmerdichtung? Das Volk erscheint nicht als aktive Masse, sondern als Gruppe passiver Individuen. Regisseurin Tatjana Reese hat die grünweiß geschminkten Darsteller in einen grotesk ausgestellten, körpersprachlich expressiven Spielstil getrieben: Das gerät bei der hinreißenden Anne-Else Paetzold als Witwe Lotte zum realistisch verfremdeten Kabinettstück, bei Sven-Erik Just als Spitzel aber zur artistisch überdrehten Lachnummer. Wo schon bei Hein die Schärfe und Härte in den Figuren fehlt, da treibt Just die Figur des Stasimannes in die harmlos betriebsame Gemütlichkeit.

Im zweiten Einakter, in „Himmel auf Erden“, wird ein kunstvoller norddeutscher Dialekt gesprochen, der die Klischeefiguren von zwei Bauarbeitern, die in einer Non-Stop-Bar in einem mecklenburgischen Dorf nach der Wende statt der exotischen „Meechen aus Thailand oder Thaihiti“ nur eine Einheimische aus Zarrenthin entdecken, zu Pappfiguren einer platten Posse macht. Dass Heins Stück nicht „funktioniert“, hat gleichermaßen mit unseren Sehgewohnheiten wie mit Heins Schreibweise zu tun. Der gesellschaftliche Hintergrund, das nicht völlig direkt Benannte hinter und in den Figuren ist einer erklärenden Überdeutlichkeit gewichen, in der selbst richtige Klischees nichts mehr zu beschreiben vermögen.