Maulkorb von der Kommission

■  Paul van Buitenen, dessen Informationen die alte EU-Führung zu Fall brachten, erhielt in Brüssel einen Preis. Aber sein Buch über die Affäre wird jetzt mit Klagen bedroht

Brüssel (taz) – Zuckerbrot und Peitsche gab es gestern in Brüssel für den rebellischen niederländischen EU-Beamten Paul van Buitenen. Einen römischen Stier hatte der Europäische Steuerzahlerbund erstmals ausgelobt – in Bronze. Die Preisredner aber legten dem Geehrten anderes Metall ans Herz: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, lautete deren Botschaft. Es sei anerkennenswert, dass der Preisträger für Transparenz in den EU-Institutionen gesorgt habe. Aber nun sei es Zeit, sich wieder auf die Loyalitätspflicht eines Beamten zu besinnen.

Dabei hat van Buitenen den Steuerzahlerpreis für die gezielte Verletzung dieser Amtspflicht bekommen. Der EU-Finanzbeamte hatte im Dezember 1998 interne Akten ans Europaparlament und an den Europäischen Rechnungshof weitergegeben, die Günstlingswirtschaft und Mittelverschwendung innerhalb der EU-Kommission belegten. Seine Zivilcourage führte dazu, dass die EU-Kommission Santer zum Rücktritt gezwungen wurde.

Für den kleinen EU-Beamten hat sich die große Tat nicht ausgezahlt. Im Gegenteil. Er wurde zeitweilig vom Dienst suspendiert, dann zwangsversetzt und vergangene Woche von der – neuen – EU-Kommission abgemahnt. Neil Kinnock, bereits Mitglied der alten Kommission und nun für die Reform der Institution zuständig, warnte van Buitenen davor, sein Insiderwissen in Buchform preiszugeben.

Am Freitag sollen die mit Spannung und von Betroffenen auch mit Nervosität erwarteten 288 Seiten (Titel: „Unbestechlich für Europa“) auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt werden. Vergangenen Freitag hatten drei EU-Juristen van Buitenen gedroht: Ziehe er das Buch nicht zurück, könne er wegen Preisgabe interner Informationen seine Stelle verlieren und müsse mit Klagen der im Buch beschuldigten Personen rechnen. Die EU-Kommission werde ihnen juristischen Beistand leisten.

Nach Auskunft seines Schweizer Verlegers Christian Meyer war van Buitenen am Samstag so verstört, dass er nachgeben wollte. „Der Druck, der auf ihn ausgeübt wird, ist wahnsinnig.“ Als besonders makaber empfinde es der Autor, dass Europas Steuerzahler die Kosten für mögliche Prozesse gegen das Buch tragen müssten.

Vielleicht klangen deshalb die Lobreden so halbherzig, die gestern in Brüssel zu Ehren des Preisträgers gehalten wurden. Der Präsident des Europäischen Steuerzahlerbundes, Rolf Baron von Hohenhau, gab van Buitenen den Rat, die Aufklärungsarbeit nun anderen zu überlassen, die sie doch wesentlich besser leisten könnten.

Van Buitenen bemüht sich derzeit, seine Stelle in der EU-Kommission gegen einen Posten beim Europaparlament zu tauschen. Wer die so genannten Preisreden auf den Nestbeschmutzer gehört hat, wundert sich nicht, warum sich das in die Länge zieht: „Whistleblower“ werden zwar gelegentlich gebraucht, sind aber nirgends gern gesehen. Schließlich könnte der eigene Laden der nächste sein, in dem es etwas aufzudecken gibt. Daniela Weingärtner