Brot, Land und Freiheit

Statt Agrarreform Modernisierung: Honduras' Bauern sollen Spargel pflanzen – für den Export. Gestern begann eine weltweite Kampagne  ■   Aus Tegucigalpa Ralf Leonhard

Die Agrarreform war nur ein Rahmen, der die Landnahme legalisierte. Jeder Enteignung gingen heftige Kämpfe voraus

Das Blut auf dem Holzboden wirkt noch frisch. José Antonio Cruz lag in der Hängematte, als er von seinen Mördern überrascht wurde. Die Täter hatten die auf Stelzen stehende Hütte von unten regelrecht durchsiebt. Sie machten sich keine Mühe, ihre Spuren zu verwischen: Die Polizei sammelte am Morgen mehr als 40 Patronenhülsen ein.

Ein Mord, wie er keine Seltenheit ist in Honduras: Allein im letzten Monat wurden in einem einzigen Bezirk vier Bauern getöt, darunter ein führendes Mitglied des Dachverbands der Bauerngenossenschaften Cocoh. Ein Mord im Auftrag eines Großgrundbesitzers, der sein Land nicht hergeben will. José Antonio Cruz war Mitglied der Kooperative La Veinte, die seit sechs Jahren ein Grundstück an der fruchtbaren Atlantikküste von Honduras besetzt hält. Das Land gehört dem Zuckerproduzenten CAGSSA. Eigentlich hätte es längst enteignet und landlosen Bauern übergeben werden müssen: Die Agrarreform, die auf dem Papier bereits seit den 60er Jahren durchgeführt wird, sieht die Enteignung von Ländereien vor, die – je nach Zone und Bodengüte – die Größe von 1.000 bis 2.000 Hektar überschreiten. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Agrarreform war bestenfalls ein Rahmen, der die Landnahme legalisierte. Ohne die Initiative der Bauern hat der Staat so gut wie nie die in Frage kommenden Haciendas vermessen oder gar enteignet. Jeder Enteignung sind – oft blutige – Kämpfe vorausgegangen, mehrere Jahre, in denen die Bauern Länderparzellen besetzt hielten, in Zelten hausten, ihre Rechte verteidigten.

Gestern standen schwarze Plastikzelte auch in Berlin, direkt vor dem Reichstag, dort, wo hunderte von Besuchern Schlange stehen. „Brot, Land und Freiheit sind Menschenrechte!“, riefen zwölf Vertreter von Bauernorganisationen aus der ganzen Welt den Touristen aus der ganzen Welt zu. Plastikzelte wurden zur gleichen Zeit auch in Wien, Brasilia, Tegucigalpa, auf den Philippinen und in mehreren Regionen Indiens und Nepal aufgestellt. Der 12. Oktober ist für die internationale Menschenrechtsorganisation Fian und für den weltweiten Bauernverband Via Campesina ein symbolisches Datum: Vor genau 507 Jahren war schon einmal „Land in Sicht“. Damals freute sich Kolumbus, heute fordern landlose Bauern aller Kontinente, die meist im Sand oder im Sumpf der Landbesitzerlobby versunkenen Agrarreformen wieder auf die politischen Tagesordnungen zu setzen. „Heute beginnt eine Globalisierung von unten“ beschreibt Martin Wollpolt-Bosien von Fian die weltweite Kampagne landloser Bauern.

Den Landreformen der sechziger Jahre ging die Erkenntnis voraus, dass weder die extensive Viehwirtschaft auf Großgrundbesitzen noch die Subsistenzwirtschaft auf Kleinparzellen effizient ist. In der Praxis krankte die Bodenreform aber schon in den Kinderschuhen: Die Landverteilung wurde weder von Beratungsprogrammen noch von Krediterleichterungen flankiert. Ohne ausreichendens Know-how und das nötige Kapital hat es nur eine Hand voll Genossenschaften geschafft, den Großproduzenten Konkurrenz zu machen.

Das Agrarmodernisierungsgesetz, das in Honduras im Zuge der neoliberalen Strukturanpassungspolitik 1992 verabschiedete wurde, setzte der vor sich hin kümmernden Agrarreform de facto ein Ende. Zwar gelten weiterhin die Obergrenzen für Landbesitz, doch gibt es Ausnahmen, wenn ein Investitionsplan für die Ländereien die effiziente Nutzung plausibel macht. Und wenn eine Brachfläche entdeckt wird, die nach Enteignung schreit, hat der Besitzer 18 Monate Zeit, das Land wirtschaftlich zu nutzen. In der Praxis genügt es schon, wenn er dort ein paar Rinder weiden lässt. Noch fataler für die Kleinbauern ist aber eine andere Bestimmung: Die Bauern können das Stück Land, das ihnen per Agrarreformtitel zusteht, verkaufen. Damit ist für die Umverteilung von Land jetzt der freie Markt zuständig. Hunderte Bauern, die auf keinen grünen Zweig kamen, haben in den letzten Jahren ihre Parzellen verkauft – für ein paar tausend Mark. „Für einen Campesino, der noch nie so viel Geld auf einen Haufen gesehen hat, ist das eine hohe Summe“, meint der Agrarwissenschaftler Gilberto Rios. Doch der Erlös für eine Parzelle ist schnell verjubelt, und der eben noch stolze Verkäufer muss sich andienen – etwa bei den Bananenkonzernen oder bei den asiatischen Textilunternehmen, die in Honduras billig produzieren lassen. Die Logik der neuen Politik heißt: Nur wer flexibel ist, kann überleben. Bauern, die sich an die altmodische Produktion der Grundnahrungsmittel Mais und Bohnen klammern, bleiben auf der Strecke. Denn die können billiger aus den USA importiert werden – vor allem seit die Regierung, den Geboten des Freihandels folgend, die Schutzzölle beseitigt hat. Von den Kleinbauern erwartet man, dass sie Himbeeren, Zucchini oder Spargel für die Gaumen der Konsumenten in Florida oder Wisconsin ziehen. Dafür gibt es Kredite. Federführend bei der Redaktion des Modernisierungsgesetzes war die US-Entwicklungsagentur AID. Ein AID-Vertreter in Tegucigalpa erklärte, die Bauern müssten sich eben umstellen.

Der Plan, die honduranischen Kleinbauern in prosperierende Feinkostgärtner oder Industriearbeiter zu verwandeln, führte in ein voraussehbares Fiasko der Grundnahrungsmittelproduktion. 1994 wurden nur noch halb so viele Bohnen produziert wie noch vier Jahre zuvor. Gleichzeitig mussten die Maisimporte vervierfacht werden.

Die Besetzer der Ländereien des honduranischen Zuckerriesen CAGSSA können von den Lebensmitteln, die sie anbauen, leben. Voraussetzung ist aber, dass sie einen grundbuchsfähigen Landtitel und damit Zugang zu Krediten bekommen. Zwar wurde ihnen vor Jahren vom Landreforminstitut (INA) bereits bestätigt, ihr Anspruch bestehe zu Recht. Ermuntert durch das Agrarmodernisierungsgesetz, versuchen Großgrundbesitzer jedoch landauf, landab die Umverteilung zu verhindern. Der Trend geht zurück zur Landkonzentration in den Händen einiger weniger Agrarunternehmer, die angesichts des wachsenden Reservoirs landloser Bauern die Löhne niedrig halten können.