Russen marschieren auf Grosny

Schwere Kämpfe in Westtschetschenien. Rebellenführer droht mit weiteren Anschlägen in Russland. Moskau befürchtet Terrorakte gegen Atomanlagen  ■   Von Barbara Kerneck

Moskau (taz) – Angeblich auf den Spuren des Oberbanditen Schamil Bassajew stießen russische Bodentruppen gestern erstmals in den bisher unbesetzten Teil Tschetscheniens vor. Sie überquerten den Terek und entfalteten schwere Kampfhandlungen um den Ort Goragorski im Bergland Westtschetscheniens, wo sich der Feldkommandeur noch kurz zuvor aufgehalten haben soll.

In einem Interview von Montag hatte Bassajew mit „neuen Anschlägen“ auf russischem Boden gedroht. In Moskau führte Bassajews Formulierung zu Spekulationen, ob der Bandenführer sich damit zur Urheberschaft für die Sprengung von Wohnhäusern in Moskau, Buinaksk und Wolgodonsk bekannt hat. Bisher bestreitet Bassajew seine Beteiligung. Obwohl man in Russland annimmt, dass diese Terrorakte von Tschetschenien ausgingen, konnten die Sicherheitsdienste keine Beweise vorlegen. Überdies wusste das Verteidigungsministerium von weiteren Plänen. Einem Sprecher zufolge plane Rebellenführer Salman Radujew, russische Atomanlagen anzugreifen. Bassajew bilde Frauen für Anschläge in Südrussland aus, hieß es.

Inzwischen besteht kaum ein Zweifel daran, dass die Föderalen Streitkräfte am Terek nur vorübergehend Halt gemacht haben und beabsichtigen, Grosny einzunehmen. Der stellvertretende Generalstabschef Manilow erklärte gestern, man werde bis zum „Endziel“ vorrücken, sobald der Befehl der Politiker vorliege. Zuvor hatte Verteidigungsminister Sergejew verkündet: „Wenn uns die richtigen Tschetschenen darum bitten, Grosny von den Banditen zu befreien, dann werden wir es tun“.

Da die „richtigen Tschetschenen“ gegenwärtig eher in Moskau zu finden sind, hat Ministerpräsident Putin begonnen, sie in ihre Heimat zurückzuversetzen. Auf sein Geheiß hat sich bereits der tschetschenische Duma-Deputierte Ibragim Sulejmenow nach Hause begeben. In den kleinen Staat sollen demnächst auch ein „Exilparlament“ und eine „Exilregierung“ verpflanzt werden. Ein Verhandlungsangebot des rechtmäßig gewählten tschetschenischen Präsidenten Maskhadow lehnt Putin bisher ab. Er wird nicht müde zu wiederholen, dass er Verhandlungspartner und den Zeitpunkt für solche Gespräche „für Russland günstig“ ausgewählen will.

Verteidigungsminister Igor Sergejew gab unterdessen zu, dass 40 Prozent der Verluste der föderalen Streitkräfte in Tschetschenien nicht auf Kampfhandlungen zurückzuführen seien. Er begründete dies damit, dass man bei an der Ausbildung der Soldaten gespart habe, weshalb diese nicht mit Munition umgehen könnten.