■  Die Zukunft ist näher, als man denkt: Jetzt ist es US-Forschern erstmals gelungen, Daten aus dem Gehirn eines Lebewesens zu lesen und diese mit dem Computer zu interpretieren. Der Weg zur direkten Verbindung zwischen Mensch und Maschine ist jedoch noch weit
: Ratte steuert Roboter

Die aufregenden Bilder sind weit grobkörniger als die ersten Fotografien im letzten Jahrhundert. Sie zeigen ein schemenhaftes Gesicht oder verschwommene Äste im Wald. Und doch beweisen sie, dass Forscher jetzt in der Lage sind, Daten aus dem Gehirn eines Lebewesens zu lesen und diese anschließend mit dem Computer zu deuten.

Eine Arbeitsgruppe der University of California in Berkeley hat 177 Elektroden direkt an die Gehirnzellen einer Katze angeschlossen, und zwar in der Thalamus genannten Region, wo die elektrischen Signale des Sehnervs ankommen. Wenn die Abermillionen Sehzellen im Auge ein Bild aufnehmen, wandeln sie dieses um in elektrische Spannungen, die Netzhaut verarbeitet die Flut von Signalen und leitet sie über den Sehnerv an bestimmte Regionen im Gehirn. Dies alles ist eine mechanistische Sichtweise des Gehirns. Die Wissenschaft der so genannten Neuroinformatik oder Neurobiologie hat sich jedoch sehr erfolgreich mit der Signalverarbeitung der Nervenzellen befasst.

Die Berkeley-Forscher um Professor Yang Dan verarbeiteten die Signale des Katzenhirns mit Hilfe von allerlei Software und projizierten sie auf einen Bildschirm, schreiben sie im Journal of Neuroscience. Damit hatten sie praktisch einen Videofilm, das Auge der Katze war die Linse, das Gehirn die erste Stufe der bildverarbeitenden Elektronik. Sie haben damit auch erstmals aufgezeichnet, was ein Lebewesen mit seinen Augen gesehen hat – eine Art elektronisches 1:1-Gedächtnis also.

Nun sind die Techniker noch ein ganzes Stück von künstlichen Augen entfernt, wie sie zum Beispiel Arnold Schwarzenegger als Android in den Terminator-Filmen besitzt. Immerhin hat ein menschliches Auge weit über 100 Millionen Sehzellen und nicht nur die 177, die die Berkeley-Forscher bei der Katze erfassten. Es scheint bis auf weiteres unmöglich, an derart viele Zellen eine kleine Messsonde zu legen, um all die Daten abzutasten.

Für den Versuch muss den Tieren die Schädeldecke geöffnet werden, wie bei einer Hirnoperation. Beim Menschen ist schon aus ethischen Gründen schwer vorstellbar, dass sie sich eine Sonde samt Computer-Interface in die Schädeldecke implantieren lassen. „Die Schwierigkeit ist, die Signale ohne einen Eingriff abzutasten“, so ein Nervenforscher der Ruhr-Universität in Bochum. Direkt in der Zelle haben die Signale eine Spannung von maximal einem hunderstel Volt, außen an der Zellhülle, wo die Berkeley-Neurologen abgetastet haben, nur noch weniger als ein tausendstel Volt. Auf der Schädeldecke sind einzelne Zellen kaum noch messbar. Und wie eine Sonde außerhalb des Kopfes die Signale der Myriaden von Hirnzellen auseinander halten soll, darüber gibt es noch keine Vorstellung – schließlich verarbeitet das Gehirn Signale wie die der Augen nicht streng parallel nebeneinander, sondern in einen komplizierten netzartigen Prozess, den jeder Mensch als Neugeborener erst lernen muss.

Trotzdem träumen einige wie der US-Neurologe Garrett Stanley, derzeit in Harvard tätig, schon von der direkten Verbindung Lebewesen-Maschine. Dabei muss es nicht gleich der Gedanken lesende mechanische Haus-Butler oder Lügendetektor sein. So steuerte zum Beispiel eine Ratte im Labor von Miguel Nicolelis an der Duke University in North Carolina über eine Sonde im Bewegungssektor des Gehirns einen Roboterarm – die Signale für die Bewegung einer Pfote waren abgelesen und über Computer an die Maschine gesandt worden. In anderen Experimenten lernten Ratten, simpel durch Denken, ohne selbst die Pfote zu bewegen, einen metallenen Tastarm zu bewegen, der ihren Futterautomaten bediente.

Steckt die gehirngesteuerte Maschine noch im Stadium der Grundlagenforschung, so liegen andere Anwendungen schon näher: Augen und Ohren als Signalgeber können nachgebaut werden und liefern dem Hirn anstelle der ausgefallenen Sinnesorgane Daten. An der Hals-Nasen-Ohren-Klinik in Hannover werden tauben Kindern Sonden implantiert, die an die Hörnerven Signale weitergeben und so dem Gehirn ein funktionierendes Ohr vortäuschen.

Und den Prototyp einer künstlichen Netzhaut in Form eines Mikrochips hat eine Arbeitsgruppe an der Universitätsaugenklinik Tübingen schon vor drei Jahren auf der Hannover-Messe präsentiert. Doch die Versuche sind noch immer im Tierversuchsstadium – nicht weil der Chip mit seinen 7.000 künstlichen Fotodioden-Sehzellen nicht funktionieren würde. Doch die Körperzellen des Auges wollen sich nicht mit dem hineinoperierten Kunstobjekt verbinden. Auch andere Gruppen, wie am Institut für Neuroinformatik der Uni Bonn, kämpfen mit der Bioverträglichkeit der Kunstorgane. Doch bei allen Schwierigkeiten heißt es in Bonn: „Wir werden die Anwendung auf jeden Fall noch erleben.“ Reiner Metzger