Exekutive Gottes

Männlichkeit, Machtgier, Martyrium – kleiner hatte er es nicht. Klaus Kinski im Fama und Abaton  ■ Von Birgit Glombitza

Nikolaus Karl Günther Nakzsynski, geboren 1926 im deutschen Niemandsland Zoppot, suchte die Ekstase. Die große Geste für die noch größere Empfindung, die nur ein Ausersehener verspüren kann. Als Klaus Kinski nahm der Exhibitionismus, die Exaltiertheit und die Maßlosigkeit Gestalt an. Er war Jesus, Paganini, Dostojewskis Idiot, Marquis de Sade, Nosferatu, Jack the Ripper. Und weil er es nicht kleiner hatte, weil method acting nur etwas für „amerikanische Wichtigtuer“ war, bemühte er für diese Scharaden gerne die Wunder der Seelenwanderung. Es sollte um alles gehen, und zwar in jeder Sekunde. Zuneigung gab es nur als Vergötterung, Sex nur als olympische Diziplin mit Endsieg-Charme.

In rund 500 Filme wirkte Kinski mit. Nach eigenen Angaben hat er die meisten davon nur aus einem Grund gedreht: Geld. Er wusste um seinen Wert, wusste, dass er als deutsche Export-Visage seinen Preis nennen konnte. Denn als Fratze des Bösen aus dem Land der Übermenschen, der den Nazi schlechthin noch in die kleinsten Halunkenrolle hineinschillern ließ, wurde er gebucht. Er hatte die Frechheit, Angebote von Visconti, Pasolini und auch Spielberg, der Kinski für Indiana Jones verpflichten wollte, abzulehnen. Und über Fellini köterte er: "Dieses Schwein, diese fette Sau, die bezahlt ja nichts!". Selbst kleine Film-im-Film-Auftritte wie in Dr. Schiwago reichten ihm, um internationale Größen wie Omar Sharif klein aussehen zulassen.

Für einen wie ihn war im deutschen Nachkriegskino kein Platz. Nicht in der selbstverordneten Bescheidenheit der Unterhaltung, nicht in traumschönen Heimatbildern, die dem Volk helfen sollte, die deigene Barbarei zu vergessen.Den Italienern kam er gerade recht. Nicht nur für A- sondern vor allem für die B-Ausgaben der Spaghetti-Western wie Töte Amigo oder Körperertüchtigungen vor beschlagenen Objektiven wie Venus im Pelz. Lukrative, schnelle Nebenrollen. „Schließlich konnte niemand Kinski länger als drei Drehtage ertragen“, vermutet die Ausnahme der Regel, Werner Herzog.

Klaus Kinski hatte ein Gesicht, in dem alles etwas zu groß war. Hypertroph, überspannt und so unsymetrisch, wie es die Verbrecherphysiognomie der Kleinsparer festlegt. Für den Rest gab er die Karikatur des Erwählten mit übermenschlich großer Mission – oder zumindest, was sich das Bildungsbürgertum seit der Romantik darauf zusammenreimte. Genau das also, was sich Werner Herzog von Woyzeck, Fitzcarraldo bis Cobra Verde zu Nutze machte und zur andächtigen Besichtigung freigab. „Meine Gewalt ist die Gewalt des Freien, der sich weigert, sich zu unterwerfen.“, donnert Kinski in seiner Autobiographie Ich brauche Liebe, niedergeschrieben auf 500 durchgeschwitzten Seiten.

In ihr kommt er zeusgleich auf die Erde, um den Frauen von 12 bis 70 einen Sinn förmlich einzuficken. Fakten und Filmberichte interessieren ihn dabei wenig. Zahlen nur, wenn es um die Bezifferung von Luxussymbolen geht: Wieviel die Villa gekostet hat, wieviel die vergoldeten Türklinken oder der Kaviarvorrat für die Gäste. Ist der Aschenbecher voll, wird es Zeit für ein neues Auto. Aufgewachsen ist Klaus Kinski in bitterster Armut als Sohn eines erfolglosen Opernsängers. Mit 13 jobbt er als Kohlenschlepper, bei der Müllabfuhr und wäscht Leichen. Mit sechzehn wird er von der Wehrmacht eingezogen und desertiert. Auf der Flucht versucht er, eine Kuh zu reißen. Er beißt ihr in den Hals, in die Ohren, in die Beine. Das Tier braucht sich nicht groß zu wehren. Es scheißt ihn einfach zu. Und weil der Zorn Gottes manchmal sogar Humor hat, berichtet er von dieser Niederlage mit selbstironischen Ausschmückungen.

In Erinnerung bleiben wird Kinski als Leinwandmythos des häßlichen Deutschen, der sich vernichtet, indem er alles um sich verwüstet. Als kalkweißes Geschöpf mit schlechter Durchblutung, das in Nosferatu an zuwenig Liebe zerbricht. Als flüsternder Kopfgeldjäger vor unüberschaubarer Landschaft oder als Exekutive des Allmächtigen. „Ich bin der Zorn Gottes“, droht Kinskis als Aguirre, schnappt sich eines von hundert Äffchen, glotzt ihm bösartig in die Augen und schmeißt es in den Fluß.

Venus im Pelz: 15. + 16. Madame Claude und ihre Gazellen: 17 Töte Amigo: 19. + 30. Nachtblende: 29.+ 30. Der Killer: 31. Oktober, jeweils 22.45 Uhr, Fama Fitzceraldo: 14., 22.30 + 24., 11 Uhr + 25., 17 Uhr Aguirre, der Zorn Gottes: 21. + 28., 17 Uhr Woyzeck: 26. Oktober, 17 Uhr, Abaton