Reine Nervensache

■ Bei Heinz-Rudolf Kunzes „Korrektour“-Auftritt im Modernes blieb alles beim Alten

Knapp zwanzig Jahre ist es her, da macht ein ostwestfälischer Mittzwanziger kurz vor der Übernahme ins Beamtenverhältnis mit Pensionsanspruch eine schier unglaubliche Wende. Der Deutschlehrer in spe wird Profimusiker. In „Bestandsaufnahme“ rechnet er mit seiner Generation ab. Unerbittlich, wie es scheint. Ein kritischer Geist? In den folgenden achtzehn Jahren veröffentlicht Kunze immerhin neunzehn Platten. Demnächst gibt's, sagt er, sogar eine „Best-of“-Scheibe. Auf Drängen der Plattenfirma. „Ich hoffe, ihr habt alle neunzehn gekauft.“ Beifall.

Ich selbst gehöre zugegebenermaßen nicht zu Kunzes treuesten Hörern. Davon scheint er aber eine ganze Menge zu haben. Das Modernes ist ziemlich voll und vollauf begeistert. „Euer Heinz“ mag seine HörerInnenschaft. Das ist vielleicht das einzige, was man ihm wirklich abnehmen kann. Seine aktuelle Singleauskopplung „Aller Herren Länder“ sei, sagt er, bevor er sie spielt, mal durchgedrungen, „obwohl sie was zu erzählen hat.“ Ein Erfolg, „nicht zuletzt wegen der (Achtung!) aufrechten Hörer“. Rockmusik ist eben eine ehrliche Sache.

Kunze betritt die Bühne schwarz gewandet. T-Shirt, Weste, schwarze Brille, Chaplin-Hut. Er spielt mit klassischer Rockbesetzung inklusive Keyboards. Die vier Herren um ihn herum erfüllen ihre Aufgabe solide. Die Arrangements jedoch sind eher lau. Doch braucht Heinz-Rudolf Kunze musikalische Spannung kaum. Seine Konzerte funktionieren anders. Er wirkt genauso gut aufgelegt wie sein Publikum. Das ist plusminus ein paar Jährchen so alt wie er.

Seit einigen Wochen schon lugt Herr Kunze in eben jener Chaplin-Aufmachung von den Plakaten. Irgendein Schelm hat in den Albumtitel „Korrektur“ ein „O“ geschmuggelt. Das ist ja auch 'n Spitzenwortspiel. Überhaupt: Der singende Zeigefinger pflegt den sogenannten Feinen Humor. Jedes Stück leitet er ziemlich lang ein, erklärt einem mehr als man eigentlich wissen will. Heraus kommen so subtile Schätzchen wie „Hey, ich kenn auch einen Satz von Brecht! 'Erst kommt das Fressen, denn das ist oral'“.

Von Korrektur ist wenig zu spüren. Sind die Stücke, wie gehabt: Hälfte Liebeslieder, Hälfte politisch Lied, in ihrem aufklärerischen Impetus kaum ernst zu nehmen, passiert Politik dazwischen. Warum nur schütten sich so viele Leute um mich herum aus, wenn Kunze im programmatischen „Wunschdenken“ verkündet: Boygroups werden als Kinderschänder verhaftet, wodurch das Problem (des sexuellen Mißbrauchs?!) sich verflüchtigt?

Irgendwann erzählt Kunze von jenen kurzen, glücklichen Momenten in den 80ern, „als wir Popstars waren“. Und streicht sich über das so trendy kurzgeschorene Haar. Nein, lieber Heinz, Popstar warst du nie! Aber ein Arbeiter für den Pop-Standort Deutschland.

Tim Schomacker