“Herrn Ketzers Handy ist unser Büro...“

■ Die Philharmonische Gesellschaft blickt stolz auf 175 Jahre Geschichte zurück. Und voller Mut und Sorge nach vorn

„Freunde, nicht diese Töne! Sondern lasst uns angenehmere anstimmen und freudenvollere.“ Die mahnenden Worte des Baritons am Anfang des vierten Satzes der IX. Sinfonie von Ludwig van Beethoven wirkten wie das Motto für die Festlichkeiten und die Pressekonferenz anlässlich des 175-jährigen Jubiläums der Philharmonischen Gesellschaft, 1825 von Bremer Bürgern als „Privat-Concerte“ gegründet. Das Orchester führt sie nächste Woche programmatisch auf, die neunte von Beethoven, um anzuknüpfen an eine von Anfang an außerordentliche Beethovenpflege in Bremen: die sechste Aufführung der Sinfonie – nach Wien, London, Aachen und Leipzig – fand 1826 in Bremen statt.

Nicht also hocherfreut, aber mutig saßen vom Vorstand der Philharmonischen Gesellschaft Edzard Dettmers, Barbara Grobien und Edda Bosse, die zusammen mit anderen zwanzig bis dreißig Stunden pro Woche ehrenamtlich arbeiten, um die Philharmonischen Konzerte wettbewerbsfähig zu erhalten. Und da hapert es an allen Ecken und Enden. Die Schere zwischen dem, was erwartet wird und dem, was tatsächlich geleistet werden kann, wird immer größer. Nach wie vor ist die Situation, so, dass siebzehn Planstellen nicht besetzt sind – zwölf Stellen sind sogar dauerhaft gesperrt – , dass mit Ausnahme der Gehälter der Musiker das Orchester über keinen Etat verfügt – außer 1200 Mitgliedsbeiträgen von 30 Mark im Schnitt – , dass ein modernes und aufwendiges Management nicht zur Verfügung steht

„Herrn Ketzers Handy ist unser Büro“, berichtet Generalmusikdirektor (GMD) Günter Neuhold. (Axel Ketzer ist der stellvertretende Solofagottist. d.Red.) Edda Bosse: „Wir arbeiten in der Konkurrenz zu Profis. Das schaffen wir auf Dauer nicht“. Auch nicht mit Hilfe des Konzertveranstalters KPS, der die Öffentlichkeitsarbeit und die Vermarktung der Konzerte unter seine Fittiche genommen hat: „Die tun viel mehr als sie müssen!“ versichert Bosse. In der KPS-Ära sind auch neue Druckwerke entstanden. Sogar eine Zeitschrift gibt es, die dreimal im Jahr erscheinen soll. Da wird historisch und aktuell ein wenig über das Orchester geplaudert. Unerlässlich erscheint allerdings, dass ein Profil erreicht wird, das das Niveau einer reinen Vereinszeitung verlässt. Denn AbnehmerInnen gibt es: Die erste 6.000er-Auflage war im Nu weg.

Die Gesellschaft hat keine Sponsoren, die auf Jahre hinaus Zusagen machen. Alles muss Jahr für Jahr neu eingeworben werden. Die großen Kosten im Etat sind die Honorare für GastkünstlerInnen, die Raummieten (18.000 Mark für die Glocke) und die Werbung. „Es ist beachtlich, was hier an Mäzenatenum und Sponsoring geleistet wird“, sagt Vorstand Edzard Dettmers. 400.000 Mark schießt die Philharmonische Gesellschaft dazu. Dennoch: „Wir werden nicht bestehen können, wenn alles so bleibt“, meint Edda Bosse, die auch wieder verständliche Sehnsucht nach inhaltlicher Arbeit hat.

Barbara Grobiens Anliegen ist die Basisarbeit, „ohne die können wir uns nicht Musikstadt nennen“. Öffentliche Generalproben – die nächste zur IX. von Beethoven ist am kommenden Sonntag um elf Uhr – , zu denen Schulklassen mit Einführung gezielt eingeladen werden, und die Präsenz in den gut gehenden Familienkonzerten in der Glocke sind ihr wichtig. Anlässlich des McKinsey-Gutachtens war einmal eine Strukturveränderung für das Orchester im Gespräch – GmbH oder Eigenbetrieb oder sonst was, aber nicht mehr städtische Angestellte. Dettmers: „Das ist alles noch offen. Die Rechtsform ist aber im Grunde egal, wenn nur Garantien gegeben werden können“. Die Politik ist erneut aufgerufen, das ihre zu einer Existenzmöglichkeit des Orchesters beizutragen. Den „Neuen muß man allerdings noch Zeit lassen“, sagt Dettmers. Was wohl heißt, dass von den drei neuen LeiterInnen der Kulturbehörde und auch vom Senator selbst noch keine Sig-nale kommen.

1.500 AbonnentInnen gibt's. Das ist nicht wenig. Allerdings fehlt der Nachwuchs. Nicht berührt wurde der Dauerkonflikt zwischen dem GMD Neuhold und dem Orchester – man könne arbeiten, was auch immer das heißt. Bisher jedenfalls hat sich die schwelende Stimmung (noch) nicht auf die Qualität gelegt, die mit dem Engagement von Neuhold 1996 einen so kometenhaften Aufschwung erhielt.

Ute Schalz-Laurenze