Die Schattenseiten des Erfolges

■  Der Wahlsieg der CDU trägt schon den Keim künftiger Niederlagen in sich. Die Partei bleibt im Osten schwach, der Generationswechsel stockt, der Koalitionspartner droht zu desertieren und die Programmatik ist unglaubwürdig

Genug gefreut. Der Sekt ist abgestanden, die Salatblätter auf den Canapés sind verwelkt. Die CDU betrachtet ihren Wahlsieg und stellt ernüchtert fest: Das Ergebnis vom Sonntag bekam sie fast geschenkt. Die Probleme fangen jetzt erst an.

„In den nächsten fünf Jahren“, sagt Generalsekretär Volker Liepelt, „bleibt nichts mehr, wie es war. Wir müssen uns die Frage stellen, ob die Berliner Union zureichend darauf vorbereitet ist.“

Die CDU verdankt ihr Wahlergebnis, im Westen das beste seit dem Krieg, vor allem der Schwäche des politischen Gegners, die sie mit einer professionell geführten Kampagne ausnutzte. Diepgen trat gegen den unpopulärsten Kandidaten an, den die SPD je hatte. Obendrein hatte die Union den Bundestrend im Rücken.

Doch das Tief des Vorjahres hat die Partei nur scheinbar überwunden. Von den Ursachen der Krise ist keine einzige beseitigt.

Schon der Blick aufs Wahlergebnis zeigt: Im Osten der Stadt hat die CDU noch immer nicht Fuß fassen können. 26,9 Prozent – das ist kein glanzvolles Ergebnis für eine Partei, die „100 % Berlin“ verkörpern will. Die 3 Prozentpunkte, die der Protest gegen Schröder ihr zutrug, kann sie nicht minder schnell verlieren.

Kein einziger Politiker aus dem Osten der Stadt hat in der CDU wirklich Einfluss. Die Einheit sei erst vollzogen, sagt der Generalsekretär, „wenn wir aufhören zu sortieren, ob in einem Vorstand noch ein Ossi fehlt“. Dann sind die Wessis wieder unter sich.

Auch im Westen steht es mit dem Personal nicht zum Besten. Dieses eine Mal noch konnten die Christdemokraten den fälligen Generationswechsel vertagen. In fünf Jahren aber, nach 19 Amts- und 63 Lebensjahren, wird Eberhard Diepgen nicht mehr antreten. Einen Nachfolger aber hat das Führungsduo Diepgen/Landowsky nicht aufgebaut.

Zwar wird Fraktionschef Klaus Landowsky nicht müde, auf drei Nachwuchshoffnungen zu verweisen – auf die Abgeordnete Monika Grütters (37), den Finanz-Staatssekretär Peter Kurth (39) und den Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (43). Doch für den Thron des Landeschefs ist keiner von ihnen prädestiniert. Und die Penetranz, mit der Landowsky auf diese drei verweist, zeigt vor allem eines: Ansonsten hat die Berliner CDU präsentables Personal kaum aufzubieten.

Den Ton, der in den Ortsvereinen gewünscht wird, treffen diese Exponenten des liberalen Großstadt-Flügels ohnehin nicht. Längst verlangen jene Kreisvorsitzenden, die sich im Rebellenzirkel „Union 2000“ organisiert haben, nach einem schärfer konservativen Profil – in Abgrenzung zum Koalitionspartner SPD. Vor anderthalb Jahren versetzten sie Diepgen eine herbe Niederlage. Mit blamablen 62,6 Prozent war er im Amt des Landeschefs bestätigt worden. Beim Parteitag Anfang nächsten Jahres wird er daher, wie es aussieht, nicht mehr antreten. Das hatte ihm selbst Freund Landowsky öffentlich geraten. Ein Ersatz jedoch ist auch für dieses Amt noch nicht in Sicht. Auch die Aktivisten der „Union 2000“ haben keine vorzeigbaren Frontmänner, seit sich ihr Idol, der frühere Innensenator Jörg Schönbohm, nach Brandenburg verflüchtigt hat. Dem spröden Nachfolger Eckart Werthebach, erst seit kurzem CDU-Mitglied, fehlt der Stallgeruch.

Der Zehlendorfer Bildungsstadtrat Stefan Schlede, den die Parteirechte gern im Amt des Schulsenators sähe, taugt als Zukunftshoffnung nicht: Er ist ein Jahr älter als Diepgen. Und der Zehlendorfer Kreisvorsitzende Uwe Lehmann-Brauns, der den Diepgen-Freund und Bausenator Jürgen Klemann im Bezirk entmachtet hatte, wirkt als wandelndes Frontstadtressentiment in der neuen Hauptstadt reichlich deplatziert.

Mit dem Personal, das die „Union 2000“ aufzubieten hat, lassen sich jene großstädtischen Wählerschichten nicht binden, auf denen Diepgens Wahlerfolge gründeten.

Aber auch programmatisch steht die CDU nach ihrer sozialpopulistischen Wahlkampagne vor einem Scherbenhaufen. Im Bund wie in Berlin wird sie die rot-grüne Sparpolitik langfristig mittragen. Das werden die Wähler der Partei ankreiden.

Da hilft auch die Rückzugslinie nichts, man habe die SPD ja nicht in der Sache, sondern nur wegen ihrer gebrochenen Versprechen kritisiert. „Die eigentliche Diskussion um das Rentensystem“, weiß auch Generalsekretär Volker Liepelt, „haben wir noch vor uns.“

Das größte strategische Dilemma offenbart indessen Diepgens kleinlautes Werben um die Gunst der Sozialdemokratie: Ihres früheren Partners FDP beraubt und in ideologischer Abneigung gegen die Grünen befangen, steht die Berliner Union langfristig ohne Koalitionspartner da. Die Akzeptanz der PDS ist nach deren jüngsten Zuwächsen deutlich gestiegen – auch im Westen. Die CDU kann sich nicht dauerhaft darauf verlassen, dass die alte Frontstadtpartei SPD das Bündnis mit den Sozialisten scheut.

Die unerwarteten Wahlsiege der CDU haben die Erneuerung der Partei abgebrochen, bevor sie überhaupt begonnen hat – im Bund wie in Berlin. Sie gehören zu jener Art von Siegen, die den Keim künftiger Niederlagen schon in sich tragen. Ralph Bollmann