In Fußballland

■ Christoph Biermann

Eine der besonders gefeierten Ansichten unter Freunden des Fußballspiels ist, dass es dabei vor allem ums Gewinnen geht. Aus diesem Grund wird immer wieder mit bedeutungsvollem Gesichtsausdruck der Liverpooler Meistertrainer Bill Shankly zitiert, der sagte, dass es beim Fußball nicht um Leben und Tod gehe, die ganze Angelegenheit sei weitaus wichtiger. Das ist selbstverständlich sehr schön gesagt, einem langen Leben auf dem Platz abgewonnen und passt bestens in die Pfützenlandschaften rot geklinkerter Hinterhöfe, wo rachitische Kinder dem Ball und ihrer einzigen Chance nachjagen.

 Mönche auf Leben und Tod, Kicken hoch droben auf dem Dach der Welt

Shanklys philosophische Miniatur klingt so entschlossen, wie wir gerne selber wären, allerdings inzwischen auch einen Hauch zu martialisch, was, lapidar gesagt, gerade mal ziemlich out ist.

So mag man nun denken, dass es ein weiter Weg von der Anfield Road zum Dach der Welt ist und der weitgehend unkriegerische Buddhismus nicht viel mit Fußball zu tun hat. Khyentse Norbu jedenfalls hat an der Nichtvereinbarkeit eigentlich keinen Zweifel. Mit geistlichem Namen heißt er Dzongsar Jamyang Khyentse Rinpoche, ist die Inkarnation eines tibetischen Lamas des 19. Jahrhunderts und Filmemacher. Khyentse Norbu ist der Ansicht, dass Fußball mit Gewinnen und Verlieren zu tun hat, folgt hier also Bill Shankly. Buddhismus hingegen handle von Mitleid und Kontinuität, er würde schon das Konzept von Gewinnen und Verlieren nicht kennen.

Womit das Thema erledigt wäre, ich aber trotzdem für eine gleichsam esoterische Betrachtung des Fußballs werben möchte. Bei der soll es weniger auf den üblichen Blick vom Ende her ankommen. Unsere Ansichten von Fußball drehten sich nämlich stets um die Frage, warum verdammt noch mal eine Mannschaft nun verloren oder gewonnen hat. Wie aber wäre es mal mit einem Blick, der sich ganz ohne Interesse daran inmitten des Spiels verliert. Nun gut, das klingt vielleicht etwas verblasen, aber ein konzentriertes Halbdösen, bei dem man sich allein auf die Laufwege eines Spielers konzentriert, wäre schon ein Anfang. Da gab es auch mal einen schönen Film, in dem die Kamera allein George Best folgte.

Aber Zuschauen ist das eine, für die Praxis und gerade jene des Amateurs gilt anderes. Es weiß doch jeder, der selbst Fußball spielt, dass oft genug ein freizeitliches Gekicke auf der Wiese beendet wird und alle nach Hause gehen, ohne eine Ahnung zu haben, wie es eigentlich ausgegangen ist. Nun steht es bei derlei nachmittäglichen Bolzereien zwischen Toren, die mit Sporttaschen eher angedeutet werden, am Ende zumeist auch nicht übersichtlich 2:1 sondern 19:15, was bei abnehmender Sauerstoffversorgung von Körper und Hirn sowieso niemand mehr mitzählen kann. Bemerkenswert ist aber auch, dass die Teilnehmer offensichtlich irgendwann ihre Befriedigung im Spiel selbst und nicht im mitleidlosen Niederringen eines Gegners gefunden haben.

Zugegeben, eine konsequente Verfolgung solch ergebnislosen Fußballs würde zum sofortigen Zusammenbruch aller Spitzenligen und mithin Spitzenleistungen führen und ist folglich weder mit Spielern, Trainern, Managern noch mit einem großen Teil der Zuschauer verhandelbar. Lockt also gerade das Andere, das Siegenwollen, jene jungen Mönche aus dem tibetischen Kloster im indischen Exil, die unbedingt bei den Spielen der Weltmeisterschaft im Fernsehen zusehen wollen? Und warum werden bei ihnen die Fotos von Ronaldo oder Zidane aus bunten Fußballzeitschriften höher gehandelt als die von knapp bekleideten amerikanischen Kinoschönheiten? Eine Antwort gibt uns Khyentse Norbu in seinem Film „Spiel der Götter“ nicht, wo wirkliche Mönche sich selbst spielen.

Er meint aber, einen guten Film zu machen, sei fast wie eine Lektion in Buddhismus zu geben. Würde Roberto Baggio, der meditierende Mittelfeldgenius, das gleiche für ein gutes Fußballspiel behaupten?