Senkrecht steigende Umsätze

■  Zuerst gingen literarische Avantgardisten ins Netz, dann erst folgten die Großverlage, die heute auf der Frankfurter Buchmesse ebenfalls ihre Online-Buchläden vorstellen

Am Anfang war der Sex. Und eine Idee. Und, wenn man es genau nimmt, auch der Mangel an Geld, der den Verleger Erich Maas ins Internet trieb. Heute stellt er der Konkurrenz auf der Buchmesse in Frankfurt seinen rundum erneuerten Online-Buchladen vor. Die Unternehmensberater von Cap Gemini sind von dem Berliner Gründer so überzeugt, dass sie ihm kostenlos ein Datenbankprogramm der Intershop AG, dem führenden Anbieter von e-commerce-Software, zur Verfügung gestellt haben. „Die haben damit ein schönes mit Content gefülltes Referenzprodukt auf Linux“, sagt Erich Maas, „und wir haben Glück.“

Eine Erfolgsgeschichte, die für die diesjährige Buchmesse typisch ist. Der ganzen Branche ist heute klar, dass ohne Web-Auftritt und Internet-Vertrieb in Zukunft kein kleiner Verlag überlebt und die großen Häuser sich die virtuelle Abwesenheit aus Prestigegründen nicht leisten können. Anfang der neunziger Jahre hatte Maas unter anderem Kathy Ackerdie, die US-Kultautorin der intellektuellen Pornographie, und Iceberg Slim, einen afroamerikanischen Zuhälter und Autor deftiger Romane des ihm vertrauten Milieus, für ein deutschsprachiges Publikum herausgegeben. Sex verkauft sich nicht immer, dachte der Verleger, aber nur eine kleine Leserschaft interessierte sich für die Werke aus dem „Under-Under-Underground“ (Maas).

Ungefähr dort lag auch der Umsatz, und Maas wurde im Laufe des Jahres 1996 klar: „Ich will mit meinem Verlag ins Internet.“ Das Wort „e-commerce“ war noch nicht erfunden, aber Maas war fasziniert von der Idee, mit dem neuen Medium neue oder eben überhaupt Kunden für seine Bücher zu finden. Da die Chancen, gefunden zu werden, mit der Anzahl der Anbieter steigen, deren Websites sich auf einer Plattform zusammenfinden, suchte Maas nach anderen Verlagen.

Er fand sie. Und findet sie noch immer. Sechzig Verlage hat Maas bislang auf der Plattform www.txt.de zusammen gebracht. „Txt.de“ heißt auch die Agentur, die Erich Maas seit 1997 mit Silke Buttgereit und Ren Kohl betreibt. Sie vertritt nicht mehr nur den literarischen Untergrund. Auf der Website ist die deutschsprachige Independent-Szene versammelt, die Verlage also, die liebevoll lektorierte, gesetzte und gebundene Titel mit anspruchsvollem Inhalt im Programm haben. Solche Bücher lassen sich in der Regel nur schwer verkaufen, aber Maas findet, das seien „Projekte, die Furore gemacht haben, die etwas wagen“.

Zu Txt.de getraut haben sich bislang unter anderen die Edition Nautilus, die Verlage Ammann, Kunstmann, Rotbuch und Quer, der Autoren Verlag Matern, Jochen Enterprises und Lappan. Neben deren 7.249 Büchern können über die Website auch noch alle 750.000 Titel aus dem Verzeichnis Lieferbarer Bücher und die 450.000 Titel des Grossisten KNO bestellt werden.

Was bei Txt.de einst eine reine Überlebensstrategie war, elektrisiert heute die ganze Medienbranche. Der Handel mit Büchern im Netz verspricht enorme Umsätze und ist neben der Telekommunikation und dem Stromhandel einer der wenigen Märkte, auf denen noch Anteile zu holen sind.

Die Independent-Verlage, die vor zwei Jahren den Gang ins Internet wagten, sind ihrem avantgardistischen Ruf nicht nur literarisch gerecht geworden. Der Medienkonzern Bertelsmann schickte daher im Februar seinen Internet-Buchladen www.bol.de ins Netz, im Juni folgte www.booxstra.de, ein Gemeinschaftsunternehmen der Konzerne Springer, Holtzbrinck, Weltbild und T-Online (Telekom).

Die beiden Marktführer bekämpfen sich nun mit den ebenfalls im Netz stehenden finanzstarken Unternehmen www.buch.de, das den Gruppen Kuchenreuther (20 Prozent), Kühling (8 Prozent) und Urban (18 Prozent) und zu 14 Prozent der Buchkette Phönix-Montanus (Douglas-Gruppe) sowie drei Kapitalgesellschaften, mehreren Buchhändlern und Verlagen gehört.

Ein ähnlich renditeorientierter Zusammenschluss hat auch www.buecher.de ins Internet geschickt. Zu den Gründern der in München sitzenden Aktiengesellschaft gehören neben privaten Investoren zwei Fondsgesellschaften. Ein rein spekulatives Geschäft: Obwohl sich der Aktienkurs der seit Juli am Frankfurter Neuen Markt gehandelten Papiere von buecher.de aufwärts bewegt, schreibt das Unternehmen nur Verluste. Mit fünf Millionen Mark Minus rechnet Vorstandssprecher Richard von Rheinbaben in diesem Jahr.

Damit steht er in der Branche nicht allein. „Keiner der reinen Internet-Buchhändler ist auch nur in der Nähe der Gewinnzone“, sagt Joachim Schroth, Marketingexperte beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels. buch.de sieht einen Verlust von zehn Millionen Mark in diesem Jahr voraus, booxstra.de schweigt zu dem Thema, und Klaus Eierhoff, Multimedia Vorstand von Bertelsmann, spricht bei bol.de von „Anlaufverlusten“.

Allein die Umsätze wachsen. „Ungefähr so“, sagt Silke Buttgereit und beschreibt eine aufsteigende 90 Grad Linie mit der linken Hand in der Luft. Die Berliner Independent-Agentur dürfte der einzige Internet-Buchhandel sein, der keine Mark in Werbung investiert. Die Konzerne hingegen versuchen sich auch auf diesem Feld zu übertreffen. „Jetzt geht es nur um die Positionierung“, sagt Schroth. Wer jetzt Kunden von sicheren und problemlosen Buchbestellungen im Netz überzeugt, der – so die Hoffnung – kann sie an sich binden, wenn später dann auch andere Produkte über das Internet zu beziehen sind. Bertelsmann investiert 20 Millionen Mark in die Werbung für bol.de. Konkurrent buecher.de hat mit zwölf Millionen Mark für seinen Werbeetat den Umsatz des Jahres erreicht, und bei buch.de übertrifft die Werbung mit zehn Millionen Mark das Umsatzziel um das Doppelte.

Immerhin haben es diese Unternehmen damit geschaft, die vorderen Plätze auf der Marktanteilsskala zu besetzen.Unangefochtener Marktführer mit rund einem Drittel Anteil ist dennoch auch in Deutschland der US-Versand amazon.com. Angeblich hat er im vergangenen Jahr elf Millionen Mark mit den über 900.000 Titeln im Programm umgesetzt.

Dreizehn reine Internet-Buchhändler buhlen zur Zeit um den deutschen Leser. Obwohl sich der Umsatz von Büchern im Netz zwischen 1998 und 1999 von 60 Millionen Mark auf „120 bis 140 Millionen Mark“ (Schroth) mehr als verdoppelt hat, macht er nicht mal ein Prozent am Gesamtumsatz des Buchhandels von 18 Milliarden Mark aus. Die Gewinnschwelle werden die Konzerne erst in zwei bis drei Jahren erreichen, wenn der Online-Umsatz auf die prognostizierten 1,5 Milliarden Mark gewachsen ist. „Zwangsläufig werden dabei einige Großen auf der Strecke bleiben“, sagt Marketingexperte Schroth. Nur drei oder vier der finanzstarken Anbieter werden seiner Meinung nach überleben: „Die Chance liegt in der Nische, Spezialisierung bringt Umsätze.“

Das sehen Maas, Buttgereit und Kohl ebenso. „Wir waren den anderen mal zwei Schritte voraus, jetzt haben wir immerhin noch einen halben Schritt Vorsprung“, sagt Silke Buttgereit. Denn kein anderer Internet-Buchhändler bietet den Verlagen so viel individuellen Raum zu Selbstdarstellung und Vermarktung, die zugleich leserfreundlich und kundenorientiert ist. „Mit wenig Finanzaufwand und vielen guten Ideen haben sie ein vorbildliches Angebot aufgebaut“, urteilte das Internet-Magazin Online Today im September und verlieh Txt.de die zweitbeste Note für Angebot, Lieferung und Web-Auftritt unter dreizehn getesteten reinen Internet-Buchhandlungen. Ulrike Fokken

ufo@taz.de