Ich bin noch Fan von MTV“

■  In „American Psycho“ zeigte er den Yuppie als Massenmörder, in „Glamorama“ sprengen Models das Pariser Ritz-Hotel: Ein Gespräch mit dem New Yorker Schriftsteller Brett Easton Ellis über Gewalt, Schuld und Sühne, Vaterfiguren, Arbeit am Ich und über die Krümmung der Erde

taz : Als Sie 1990 „American Psycho“ schrieben, war New York ein Horrorszenario voller Gewalt, das gut zur Handlung passte. Dann kam Rudolph Giuliani als Bürgermeister und mit ihm „Zero Tolerance“. Heute gleicht Manhattan einer bewachten Festung. Mussten die Models als Terroristen in „Glamorama“ deshalb nach Europa ausweichen?

Brett Easton Ellis: Aber nein, der Ortswechsel hängt allein mit der Handlung und dem Wesen der Verschwörung zusammen, die ich in „Glamorama“ entwerfe. Die Logik des Romans will es so, dass Victor Amerika verlässt. Gesellschaftliche Gründe gibt es dafür keine. Aber es ist wahr: In den Achtzigerjahren wären Terroristen in New York noch leichter davongekommen als jetzt unter Giulianis Ägide.

Fühlen Sie sich selbst sicher in New York?

Seit ich hier in Europa bin, werde ich dauernd nach Giuliani gefragt. Was ist für Europäer so faszinierend am New Yorker Bürgermeister? Ich finde das erstaunlich. Er verkörpert zwar nicht die Stadt als abgründige Metropole. Trotzdem, meine Nachbarschaft ist tatsächlich angenehmer und sicherer geworden. Und dass Pornografie nicht mehr offen zugänglich ist, macht den Kauf auch nicht mehr so peinlich.

Nun wollte Giuliani erst vor zwei Wochen eine Ausstellung mit sexuell expliziter Kunst schließen lassen ...

Das war eine ganz große Dummheit. Vor allem, weil Giuliani mit dem Skandal noch geholfen hat, die Karriere einiger der beteiligten Künstler zu fördern. Auch das Museum hat jetzt einen größeren Zulauf. Also sollten alle sehr glücklich sein über Giuliani und seine idiotischen Vorstellungen über Kunst.

Empfinden Sie sich in Ihrer Art zu schreiben eher europäisch, als young british artist und weniger amerikanisch?

Nein, wieso?

Weil Sie sehr direkt zur Sache kommen, egal ob in Sex-, Gewalt- oder Modefragen.

Ja, das stimmt schon. Einerseits ist es wahr, dass meine Bücher in Europa nicht so weitreichend abgelehnt werden wie in den USA. Auch die Kritiker scheinen sich – unabhängig von ihrem Urteil – mehr mit den Hintergründen von Schriftstellern zu beschäftigen, während man in den USA allem mit Hysterie begegnet. Ja, ich finde in Europa mehr Anerkennung als in Amerika. Und für Anerkennung muss man dankbar sein.

In Europa ist man gewöhnt, Gewaltvorstellungen ebenso wie populäre Kultur oder auch ganz banale Dinge intellektuell zu verhandeln – und schaut deshalb bewundernd nach Amerika! Wie ist Ihr Verhältnis zu Pop?

Da gibt es zunächst einmal ganz andere Schriftsteller, die solche Beziehungen intellektuell aufarbeiten. Für mich ist das Bücherschreiben eine private Angelegenheit: Bei „Glamorama“ ging es um formale Feinheiten und darum, dass mich viele Sachen und Erscheinungen in meiner Umgebung einfach sehr geärgert haben. Aber zugleich denke ich mir: Du schreibst kein Buch, um vor anderen Leuten Rechenschaft abzulegen, du schreibst ja nicht einmal, damit es andere Menschen lesen. Das ist für mich am rätselhaftesten – dass du auf Lesetour vor lauter Menschen auftrittst und trotzdem für dich allein schreibst, über Jahre hinweg, eingesperrt in deinem Kämmerlein. Und dann, wenn das Buch herauskommt, treten alle diese Menschen auf dich zu und versuchen dir zu erklären, wie und was du geschrieben hast. Ach ja, das ist schon sehr interessant. Wahrscheinlich haben Sie Recht mit dem, was Sie gerade gesagt haben. Aber ich bin mir darüber nie so ganz bewusst. Ist das eine Antwort?

Warum nicht? Bei aller Privatheit sind auch Sie zum Symbol einer Generation geworden, die man irgendwo zwischen X, Drogen und Verzweiflung ansiedelt.

Wissen Sie, dass es dafür einen ganz einfachen Grund gibt? Die Jugend heute schreibt eben nicht genug Bücher über ihr Leben. In den Achtzigerjahren habe ich noch hunderte von Büchern gefunden, die sich mit Erfahrungen beschäftigten, die auch für mich wichtig waren. Wenn Sie heute meine Figuren in „Glamorama“ anschauen, dann spiegeln sie die Wünsche und Bedürfnisse so ziemlich aller Amerikaner nach Schönheit wieder. Das ist nicht an eine spezifische Generation gekoppelt. Beim nächsten Mal werde ich ohnehin nicht mehr über die Jugend schreiben: Mit 35 Jahren ist man nicht mehr sonderlich daran interessiert, ein Buch wie „American Psycho“ zu schreiben. Mir geht es auch nicht mehr um Satire, ich möchte die Welt anders sehen, vielleicht schlechter, vielleicht sogar besser.

Liegt es daran, dass Sie nicht mehr genug Wut empfinden, oder sind Sie einfach vom ewig gleichen MTV gelangweilt?

Erstens ärgere ich mich mit dem zunehmenden Alter noch mehr über bestimmte Dinge, und zweitens: Ich bin noch immer ein Fan von MTV.

In „American Psycho“ reichte Ihre Begeisterung so weit, dass Sie Whitney Houston oder Huey Lewis ganze Kapitel gewidmet haben. Für „Glamorama“ schreiben Sie nur noch von diffusem TripHop als Muzak in irgendwelchen Clubs.

Schon in „Less than zero“ hört kein Mensch mehr zu, was für Musik gespielt wird. Und auch die Bands, von denen Patrick Bateman in „American Psycho“ spricht, sind rein synthetische Produkte. Das kann ich alles gar nicht ernst nehmen, da bin ich schon viel eher der Folk- oder Hippie-Typ, was Musik angeht. Heute sieht man Musik als einen Haufen hübsch tanzender Jungs, Mädchen und T-Shirts. Richtige Singer/Songwriter bekommen überhaupt keine Aufmerksamkeit mehr, so wie sie etwa Bruce Springsteen auf seinem Höhepunkt hatte. Wir haben früher noch über Schallplatten als kulturelle Ereignisse gesprochen, so wie bei Nirvana. Jetzt sind da überall Will Smith und Britney Spears – na ja.

Larry Clark und Nan Goldin wurden mit offenherzigen Fotos von kaputten Jugendlichen zu Ikonen der Undergroundkultur. Soll man Brett Easton Ellis wegen seiner Brutalität und Moral in Erinnerung behalten?

Meine Bücher sagen mehr über mich als über „die Jugend“ aus. Es ist doch nicht so, dass ich mir das weite Feld der Kulturen anschauen würde, um mich darin irgendwo zu positionieren. Als ich zu schreiben angefangen habe, waren die Leute, von denen meine Bücher handelten, im gleichen Alter wie ich. Jetzt bin ich 35, und da gibt es dann eben eine Distanz zu den Leuten, die ich in „Glamorama“ beschreibe. Aber das ist meine ganz persönliche Distanz, es sind meine Empfindungen und meine Resümees.

Stimmt denn das Bild vom „Monster als Moralist“, mit dem die „Zeit“ Sie beschrieben hat? Ist Victor Ward am Schluss von „Glamorama“ womöglich der geläuterte Held, der angesichts des Massakers an seiner modelnden Freundin die Oberflächlichkeit und Kälte dieser Welt verdammt?

Vor allem ist er zum Schluss tot. Ich denke, dass Menschen wie er durch diesen ganzen Dreck müssen, um die Wirklichkeit zu sehen. Er weiß doch von Beginn an, dass er den falschen Weg geht. Das kann ich ihm am Ende nicht verzeihen. Er hat sich nie um die wichtigen Dinge des Lebens gekümmert, sondern ist immer nur seinen Eitelkeiten nachgegangen. Dafür wird er eben bestraft. Aber jemand, der einem Supermodel hinterherjagt und dafür getötet wird, das sollte ich vielleicht besser meinem Psychoanalytiker erzählen.

Zuletzt wird Victors Umgebung zu einem solchen Horror, dass er natürlich verletzbar erscheint. Man empfindet Mitleid, wenn nicht gar Sympathie mit ihm. Ich hatte selber meine Schwierigkeiten, dass er am Ende so viel vor sich hinheult, dass ich einige Passagen streichen musste, weil er sich zu einer so großen Heulsuse entwickelte. Außerdem besitzt er eine gewisse unfreiwillige Komik, für die man auch ein wenig Zuneigung fühlen kann. Eine Figur, die dich amüsiert, wird immer Sympathien bei dir wecken. Und trotzdem: Das Buch wurde als Kritik an Victors Wertvorstellungen konzipiert, und auf dieser Ebene mag ich ihn überhaupt nicht.

Ein bisschen kann er einem auch Leid tun, weil er von seinem Vater abgelehnt wird. Die Kluft zwischen den Vätern und ihren Kindern dominiert auch in „Less than zero“. Was bedeutet für Sie der Generationskonflikt?

Noch einmal. Wann immer man einen Roman schreibt, kommen autobiografische Elemente ins Spiel, die sich nicht verstecken lassen. Daher handeln Victors Schwierigkeiten mit seinem Vater auch von denen zwischen mir und meinem Vater. Ich denke, das erklärt sich von selbst.

Und wie würden Sie die Fliegen erklären, die Victor verfolgen? Als Symbol der Schuld stammt das Bild doch aus der griechischen Mythologie.

Ach, Ihnen sind die Fliegen aufgefallen? Da sind Sie der Erste, herzlichen Glückwunsch. Die anderen fragen immer nach dem Konfetti. Aber die Fliegen, ja, das ist auch interessant. Ich werde oft auf die Symbolik in meinen Büchern angesprochen und versuche in der Regel, solchen Fragen auszuweichen.

Wobei in „Glamorama“ ja nicht bloß Fliegen auftauchen, sondern auch der Geruch von Scheiße – so wie eins das andere anzieht?

Oooh, jetzt verstehe ich ... (spricht zu sich selbst) „obwohl es stimmt, dass Fliegen oft vom Geruch von Scheiße angezogen werden, hätte ich nicht gedacht, hier in Berlin nun dieses kleine Gespräch darüber führen zu müssen. Und andererseits ... Obwohl Fliegen natürlich auch ohne den Geruch von Scheiße auftauchen, wie Brett Easton Ellis sagte, als er in Berlin am Tresen saß ...“ – Es stimmt. Die Fliegen sind Symbole. Machen Sie sich also keine Sorgen.

Zumindest passen die Fliegen atmosphärisch recht hübsch zu Victors Verfolgungswahn: Er wird bedrängt von dem, was ihm alles noch zustoßen könnte und was ihm am Ende tatsächlich zustößt. Lieben Sie solche mythischen Verstrickungen?

Oooh jaa, und jetzt wollen Sie wissen: Warum? Warum?

Weil die klassischen Tragödien mit ihren schicksalhaften Verstrickungen bis in Zeitgeist und Jugendkultur nachwirken?

Ich denke, das Krishna-Zitat zu Beginn des Buchs ist dafür Hinweis genug. Egal wie jung, trendy, modern und oberflächlich sich eine Gesellschaft gibt – am Ende wird die Menschheit für all ihre Torheiten und ihre Fehler bezahlen. Wir können nicht entkommen.

Dabei ist der amerikanische Mythos doch das „Streben nach Glückseligkeit“ und nicht das Streben nach Bestrafung?

Der amerikanische Mythos von heute ist Entertainment. Das Leben ist ein Film. Wir sind alle Schauspieler. Das ist das Thema von „Glamorama“. Als ich das Buch geschrieben habe, war ich ja selbst von diesem Film gefangen – so wie mich die Medien behandelt haben. Das hat sich dann im Roman niedergeschlagen.

Ist es da nicht fatal, dass nun „American Psycho“ verfilmt wird? Wird das Gleiche nicht auch mit „Glamorama“ passieren?

Nein, nein, denn „Glamorama“ ist ja gar keine Halluzination, die man noch verfilmen müsste. Da läuft tatsächlich schon ein Film ab, ein einziger großer Film. Und zugleich ist das Buch ja selbst das Klischee von einem Film, mit all seinen Techniken und Anweisungen, die Victor gegeben werden. Nur glaube ich, dass die Realisierung eines solchen Films doch etwas zu teuer würde. Insofern bin ich zuversichtlich.

Eine letzte Frage: Kann man die Krümmung der Erdoberfläche vom Fenster der Concorde aus sehen?

Weiß ich nicht.

Dann ist es mehr eine Idee?

Ist es überhaupt möglich?

Weiß ich nicht.

Gut, ich habe mir die Sache ausgedacht. Manchmal denkt man zwar über seine eigenen Recherchen beim Schreiben nach. Aber das braucht man nicht: Hey, es ist Fiktion.

Interview: Harald Fricke

Zur Frankfurter Buchmesse liest Brett Easton Ellis morgen Abend um 20.30 Uhr in der „Romanfabrik“.