Falscher Zähler, schiefer Nenner

Die Lohnkosten in Deutschland sind nach DIW-Berechnungen keineswegs exorbitant hoch. Wenn man die Gesamtwirtschaft betrachtet, sind sogar die USA teurer  ■   Von Beate Willms

Berlin (taz) – „Packesel der Nation“, nannte Bernhard Jagoda, Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, die Lohnkosten kürzlich. Dabei konnte er sich nicht nur des Beifalls der Industrieverbände sicher sein, sondern auch auf Expertenzahlen stützen: Die Wirtschaftsforscher am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) und bei der US-Behörde für Arbeitsmarktstatistik (BLS) waren bei internationalen Vergleichen zu einem ähnlichen Schluss gekommen: Die „hohen Lohnkosten“, hieß es unisono aus Köln und Washington, seien der Grund für die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland und der „Kern des deutschen Standortproblems“.

Dass es in Deutschland zuletzt weder ein großes Handelsdefizit noch eine grobe Abwertung der D-Mark gegeben hat, was entscheidende Indizien für mangelnde Wettbewerbsfähigkeit gewesen wären, übersahen sie.

Die Spezialisten vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin haben sich jetzt die Statistiken der Kollegen noch einmal vorgenommen. Ihr Ergebnis: „Für allgemeine Schlussfolgerungen zur deutschen Wettbewerbsposition sind diese Untersuchungen nicht geeignet.“

Nach den Berechnungen des BLS sind die Arbeitskosten in Westdeutschland mit Abstand die höchsten der Welt. 1998 lagen sie mit rund 50 Mark rund 37 Prozent höher als der Durchschnitt der Industrieländer und immer noch um 16 Prozent höher als in der Schweiz, die den zweiten Platz einnimmt. In Ostdeutschland dagegen sind die Kosten 8 Prozent niedriger als im Durchschnitt. Laut IW beträgt der Abstand Westdeutschlands zum Durchschnitt sogar 44 Prozent. Allerdings betrachten beide Institute lediglich die verarbeitende Industrie und dort lediglich die Arbeiterschaft.

Laut DIW deckt die verarbeitende Industrie aber nur knapp 15 Prozent der Arbeitsplätze ab. Und: Ende der 80er-Jahre war in Westdeutschland nur gut ein Viertel der Stellen in der verarbeitenden Industrie mit gering qualifizierten, niedrig bezahlten Arbeitskräften besetzt. In Großbritannien waren es 57, in den USA sogar 66 Prozent. Hinzu kommt die unterschiedliche Lohnstruktur. So ist der Unterschied in der Entlohnung von Arbeitern und Angestellten in Deutschland erheblich geringer als in den USA – Angestellte tauchen in den Berechnungen von BLS und IW aber gar nicht auf.

Auch auf der Nennerseite ist der internationale Vergleich schwierig, weil die Arbeitszeiten unterschiedlich erfasst werden – es gibt unterschiedlich viele Feier- und Urlaubstage sowie verschiedene Krankenstandsregelungen. Nicht anders verhält es sich mit der Einheit, der Währung: Die Statistiken beruhen auf einem jahresdurchschnittlichen Wechselkurs gegenüber der D-Mark, was die Ergebnisse zusätzlich verzerrt.

Die Berliner Forscher versuchen nun, diese Unsicherheitsfaktoren weitgehend auszuschließen, und machen eine Gegenrechnung für die Arbeitskosten je Stunde in der Gesamtwirtschaft auf. Ergebnis: Weit vorn liegt hier die Schweiz mit rund 58 Mark. Dann folgen die USA und Belgien mit jeweils rund 45 Mark. Beide bilden allerdings gemeinsam mit Westdeutschland und Norwegen eine Gruppe von Ländern mit relativ etwas höheren Arbeitskosten – sie liegen um etwa 10 Prozent über dem Durchschnitt. Ostdeutschland ist auch hier nahezu Dumpingland: eine Arbeitsstunde kostet gerade mal 28 Mark.

Zur Einschätzung der deutschen Wettbewerbsposition reichen aber auch diese Zahlen nach Ansicht der Wirtschaftsforscher nicht aus. Dazu gehörten auch das Niveau und die Entwicklung der Produktivität sowie Qualitätsstandards und die Wechselkurse.