Die Generäle haben die verschiedensten Putschpläne in der Schublade

■ Armeechef Musharraf wurde von seiner Absetzung überrascht, doch die Machtübernahme verlief problemlos

Neu-Delhi (taz) – Es war ein Putsch, der nicht geplant war und der dennoch ablief wie geplant. Am Dienstagmorgen hatte General Pervez Musharraf in einem Hotel in Colombo noch Squah gespielt, am Abend zuvor hatte er mit alten Kameraden, indischen und srilankischen Offizieren, Erinnerungen aus der Zeit der Militärakademie ausgetauscht. Während der ganzen Dauer seines Sri-Lanka-Besuchs, so berichten indische Teilnehmer, habe er sich nur den diversen Feierlichkeiten aus Anlass des 50jährigen Jubiläums der Armee des Landes gewidmet.

Selbst in Pakistan, wo sonst jeder Verschwörungstheorie geglaubt wird, traut man dem General eine derart perfekte Vernebelung eines bevorstehenden Staatsstreichs nicht zu. Und so geht man davon aus, dass Musharraf völlig überrascht war, als sein Flugzeug am Dienstagabend zunächst keine Landeerlaubnis erhielt und anstelle seiner Familie ihn die Absetzungsorder von Premierminister Nawaz Sharif erwartete. Dennoch vollzog sich die Machtübernahme durch das Militär so schnell, als hätten Soldaten überall im Land nur auf den Einsatzbefehl gewartet: Besetzung der Radio- und Fernsehstationen, der Regierungsgebäude, Umstellung der Residenzen von Premierminister und Kabinettsmitgliedern, Schließung der Flughäfen, Patrouillen auf den Straßen der Großstädte.

Die professionell durchgeführte, unblutige Aktion zeigt, dass die Streitkräfte genaue Ablaufpläne für einen Putsch bereithalten – unabhängig davon, wer an der Regierung ist. Dies hat nicht so sehr mit einem tiefsitzenden Misstrauen des Militärs gegenüber den zivilen Behörden zu tun als vielmehr mit der Rolle, welche die drei Waffengattungen in ihrer fünfzigjährigen Geschichte übernommen haben: in einem Land, das mehr oder weniger zufällig aus der Erbmasse des indischen Kolonialreichs herausgeschnitten worden war, sehen sie sich als das „Stahlband“, das die Nation zusammenhält. Dies gilt nicht nur für die eigentliche Aufgabe der Verteidigung der nationalen Grenzen. Es gilt auch für den Zusammenhalt nach innen.

Der Militärdikator zerstörte das Ansehen des Militärs

Einzig General Zia al-Haq, Militärdiktator zwischen 1977 und 1988, hatte dieses idealistische Selbstbild gestört. Sein Machthunger verleitete ihn dazu, die demokratischen Institutionen systematisch zu vernichten, während sie von seinen Vorgängern zumindest toleriert worden waren. die von ihm durchgesetzte Verfassung war nicht mehr als ein demokratisches Feigenblatt für seine bonapartistischen Ambitionen; die Einführung einer islamischen Gesetzgebung war ihm ein Mittel, demokratische Kontrollen zu unterlaufen und politische Gegner gnadenlos zu verfolgen; und das Angstgespenst des indischen Nachbarn diente ihm dazu, die pakistanischen Streitkräfte in eines der größten Heere der Dritten Welt zu entwickeln. Als er 1988 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, atmete nicht nur die Zivilbevölkerung auf, auch ein Gros der Offiziere erkannte, dass sie ihre Legitimität bei weiten Teilen der Bevölkerung eingebüßt hatten.

Das Verhalten der Militärs seit der Wiedereinführung der Demokratie zeigt, dass sie aus ihren Fehlern gelernt haben. Sie blieben zwar neben Regierung und Verwaltung weiterhin der dritte Pfeiler des pakistanischen Establishments, doch ihre Eingriffe dienten nicht mehr dazu, selbst die Macht an sich zu reißen, sondern sie an eine neu gewählte Regierung weiterzugeben. Keines der vier Kabinette, welche in den elf Jahren Demokratie das Land regierte, konnte seine Amtszeit zu Ende führen. Jedesmal kam es zu einer Intervention der Armee, welche die Verfassungsmacht des Staatspräsidenten nutzte, um die Regierung zu entlassen. In drei der vier Fälle, das Schicksal des jüngsten Putsches steht noch aus, blieben die Militärs aber in ihren Kasernen und begnügten sich mit der Bestellung eines Übergangskabinetts.

Es ist möglich, dass auch dieser Staatsstreich die gleiche Wendung nimmt. Der einzige Unterschied zu den früheren Eingriffen ist diesmal, dass es sich um einen Putsch handelt, während die Armee früher mit Hilfe des Staatspräsidenten verfassungskonform handelte. Es war ausgerechnet Nawaz Sharif, der diese präsidiale Eingriffsmöglichkeit aus der Verfassung nahm. Vielleicht glaubte er, dass er der Armee damit jede legale Möglichkeit rauben würde, ihn zum Rücktritt zu zwingen, wie sie dies bereits 1993 getan hatte. Allerdings rechnete er nicht damit, dass die Armee dem Argument der Legalität jenes der Legitimität voranstellen würde. Und diese lautet immer noch so wie vor vierzig Jahren beim ersten Militärputsch: Wenn das Land in seiner Einheit gefährdet ist, haben die Streitkräfte das Recht zur Intervention.

Es war bisher stets der Fehler der Politiker,dass sie den Generälen begründete Vorwände lieferten, diese Legitimität für sich in Anspruch zu nehmen. Und es ist der Fehler der Generäle, dass sie durch ihre häufigen Eingriffe verhindern, dass sich in Pakistan eine demokratische Kultur entwickeln kann. Bernard Imhasly