Glatt unter die Haut

■ In der Uraufführung von Detlev Glanerts Oper „Joseph Süß“ bleibt die Skandalgeschichte verschwommen

Heikler kann kein Thema sein: das Leben des württembergischen Hofjuden Joseph Süß, neben zahlreichen anderen Literarisierungen berühmt geworden durch den 1925 erschienenen Roman von Lion Feuchtwanger. Nach dem Holocaust die Schandtaten und Verfolgung eines Juden als Thema einer Oper?! Den Mut hatte der 1960 geborene Komponist Detlev Glanert mit seiner vierten Oper, weil er der Meinung ist, dass die historische Entfernung nun dazu beitragen kann, „die eigene Gegenwart zu erklären“. Und dass das Thema des Juden als Sündenbock wieder erschreckend nahe ist, beweisen tägliche Ereignisse. Doch die Machenschaften von Joseph Süß Oppenheimer, der als Finanzrat die aufwendige Hofhaltung Herzog Karl Alexanders von Württemberg kriminell durchzog und 1738 auf Grund von Beschuldigungen hingerichtet wurde, die das Maß seiner wirklichen Taten weit überstiegen, ist nicht das einzige Thema des Stückes von Glanert. Es geht auch um Katholizismus und Absolutismus, um das jüdische Fremdsein und die gleichzeitige Anpassung an diese Gesellschaft.

Als Auftragswerk des Bremer Theaters haben Uta Ackermann und Werner Fritsch ein Textbuch geschrieben, das der kompositorischen Eigenart von Glanert, nämlich formal recht klare Architekturen zu bauen, entgegenkommt. Sieben Kerkerszenen bilden das Raster, in dem die Karriere- und Leidensstationen des Süß in seiner Erinnerung ablaufen: Die Aufführungszeit ist auch die reale Zeit. Diese Konzeption hat der Regisseur Tilman Knabe insofern einschneidend verändert, als er aus allem eine einzige Szene gemacht hat. Der Chor steht in Reih' und Glied auf der Bühne. Die Protagonisten sind unter ihnen, lösen sich zu ihren Aktionen nur heraus, meist nach vorne. Süß steht am Rand als unbeteiligter Betrachter.

Die formale Vorgabe legt eine solche Lösung nahe. Sie verunklart aber jegliche Aussage darüber, was eigentlich passiert, und, schlimmer noch: Sie entzieht sich der Stellungnahme. Der graue Barockchor am ganzen Abend in derselben Kleidung: Vertreter der Landstände, Festgesellschaft, Jagdgesellschaft, Gericht. Sowohl Süß' Taten als auch sein Leiden und besonders die politischen und konfessionellen Auseinandersetzungen erhalten nur verschwommene Konturen. Dies wird gestützt durch die grellen Masken und die chargierende Spielweise. Besonders Karsten Küsters als überschminkter, karikierter Herzog ist zwar in seinem gewohnten schauspielerisch-sängerischen Element, zeigt aber die komplexe und gefährliche Figur nicht. Und Süß steht zu viel an der Seite rum, als dass sein Schicksal uns unter die Haut gehen könnte. Erst am Ende zwingt uns die Inszenierung – und die Komposition – ein bewegendes Bild auf, als der Henker zu Süß kommt mit den Worten: „Es ist Zeit.“

Die Musik – nicht ganz frei von effektvoller Vordergründigkeit – birgt viel Atmosphärisches, ist stark in der Differenzierung der Charaktere. Glanert hat eine Ader für Theatralik im besten Sinne. Süß' Tochter Naemi, durch den Missbrauch des Herzogs in den Selbstmord getrieben, gleitet als stimm-expressive Traumgestalt durch die Szene (Katharina von Bülow), Süß' Geliebte Magdalena, vergewaltigt vom Herzog, kämpft tapfer um Süß' und des Herzogs Mätresse (Iris Krupke), die Sängerin Graziella trällert sich durch ihr berechnendes Leben (Laura Pedersen). Die drei völlig verschiedenen Gesangsstile der Frauen tragen mehr zur Kontur ihrer Charaktere bei als die Inszenierung. In diesem Sinne war die interessanteste Gestalt der erregt-schmierige Weissensee (Uwe Salzmann). Belcantistische Stimmschönheit bei George Stevens (Süß) und Armin Kolarczyk (Magus, der jüdische Erzieher von Naemi).

Glanert setzt stilisierte und parodierte Barockmusik ein. Das klingt hübsch, funktioniert aber als Metapher für die Gesellschaft, die er darstellen will, natürlich nicht. Eindrucksvoller ist die eigene rhythmus-, schlagzeuglastige Sprache von Glanert, voller Dramatik, voller Gespür für Kontraste, voller Empfindlichkeit. Sie war bestens aufgehoben beim Philharmonischen Staatsorchester unter der Leitung von Rainer Mühlbach, dessen engagierter Einsatz den Abend wesentlich trug. Wunderlicher Beifall nach einer Uraufführung: keine Buhs, riesige Bravos für die SängerInnen, herzliche Bravos für den Komponisten. War das alles doch zu glatt geblieben?

Ute Schalz-Laurenze

Die nächsten Aufführungen: 17., 20., 24. u. 28. Oktober, jeweils um 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz. Karten: Tel.: 365 33 33