Musiker gegen den Rest der Welt

Nach dem Ausfall der Schönberg-Vorstellungen „Moses und Aron“ streiten sich der Senat und der Berufsverband der Deutschen Orchester heftiger denn je um die Gehälter an der Deutschen Oper  ■   Von Katrin Bettina Müller

Ciao, bella Italia, Land der Opernliebe. Schwer wird dem Orchester der Deutschen Oper Berlin wohl der Abschied von ihrer Italientournee in dieser Woche fallen, kehren sie doch in ein Drama zurück, das allmählich zu „Musiker gegen den Rest der Welt“ stilisiert wird.

Es geht um Geld und es geht um Kunst. Der Senat möchte schon seit einem Jahr die seit 1985 den tariflichen Monatsgehältern aufgepackte Medienpauschale von 900 Mark um die Hälfte kürzen, um damit 800.000 im Jahr einzusparen. „Das Angebot der Musiker“, so erklärt Herr Dünnwald, Geschäftsführer im Berufsverband der Deutschen Orchester (DOV), „ist, für zwei oder drei Jahre auf einen Teil ihres 13. Monatsgehaltes (6.000 Mark) zu verzichten.“ Dann aber soll die Medienpauschale im Tarif der fest angestellten Instrumentalisten festgeschrieben werden.

Das akzeptierte der Senat nicht als Verhandlungsbasis, Gespräche brachen ab. Das hätte wohl weiter niemand groß bemerkt, wären nicht plötzlich auch Vorstellungen ausgefallen. Ausgerechnet Schönbergs „Moses und Aron“, mit dem die Deutsche Oper ihr Profil als offenes Haus für die Komponisten des 20. Jahrhunderts wieder zu festigen suchte, musste nach der Premiere zweimal abgesagt werden. Daran waren nicht nur überdurchschnittlich viele Krankmeldungen schuld, sondern auch, dass sich in Berlin und ganz Deutschland plötzlich keine Aushilfen mehr finden ließen, ohne die Schönbergs Orchestrierung nicht gespielt werden kann. Andere Musiker ziehen also mit. Das sieht der DOV, der über 90 Prozent der Orchestermusiker vertritt, als „beispiellose Solidaritätsaktion“, über die er in einem Brief alle Orchester informierte. Und wehrt sich nun dagegen, dass dieser Brief als Aufruf zum Streik und Boykott gewertet wird.

In Berlin knirscht derweil nicht nur Götz Friedrich, Intendant der Deutschen Oper, mit den Zähnen. Der geschäftsführende Direktor, André Schmitz, redet von der „Gefährdung von 800 Arbeitsplätzen“, der Personalrat distanziert sich von den Spitzenverdienern, die Akademie der Künste sieht auf ihrer Mitgliederversammlung „das Ansehen der Musikstadt Berlin“ gefährdet und die Intendanten der Stadttheater, die im Deutschen Bühnenverein zusammengeschlossen sind, mahnen die Einstellung der „streikähnlichen“ Maßnahmen an. Frei schaffende Künstler, die nie in den Genuss fester Gehälter kamen, registrieren mit einer gewissen Schadenfreude die Risse in der subventionierten Hochkultur. Selbst in der FAZ führt der Streit um 450 Mark zu Unkenrufen über den Abgang der „großen Klangkörper“, die wie die Dinosaurier allmählich das Klima zum Überleben verloren“ haben. Hinter dem Kampf um das Gehalt steht für das Orchester die Angst vor einer Herunterstufung und dem Verlust der Konkurrenzfähigkeit mit anderen Spitzenorchestern. Zu dieser Furcht um den Statusverlust passt eine andere Nachricht aus der Berliner Orchesterlandschaft. Rafael Frühbeck de Burgos, Chefdirigent des Radiosinfonie-Orchesters Berlin, kündigt vorzeitig seinen Vertrag, weil er sich aus Spargründen auf die Unterhaltungsschiene geschoben sieht. Einen ähnlichen Abstieg in die Niederungen der Musikkultur befürchtet der Komponist Karl-Heinz Stockhausen, die alternde Stimme der Neuen Musik, für die Berliner Philharmoniker, wenn sie weiter an Auftritten mit Udo Jürgens basteln, statt sich der Uraufführung zeitgenössischer Werke zu widmen.

In dieser Stimmung scheint, was zuerst nur als Beharren auf ökonomischen Privilegien anmutet, Teil der Abwehr eines Angriffs, der nicht nur aus Spargründen auf die großen Orchester zurollt. Weich gespülte Klassik unterminiert die Grenzen, längs derer die Orchester lange Zeit ihre Identität bilden konnten. Ins Wanken gerät dabei zugleich der Begriff einer institutionell gesicherten Hochkultur, deren Qualität sich tariflich genau bemessen und beziffern ließe. Einerseits explodieren die Gehaltsvorstellungen nach oben, wo sich die Grenzen zur Unterhaltungsindustrie verwischen. Andererseits entdecken auch Politiker jene Formen von Kultur, die in einem ökonomisch ungesicherten Raum entstehen, immer mehr als das kostengünstigere Modell. Von daher rührt die Heftigkeit, mit der die Musiker auf die Beschneidung ihrer Gehälter um 450 Mark brutto reagieren, als ginge es um eine existenzielle Bedrohung.

So wird um Geld gestritten, wo es eigentlich um Konzepte der Erneuerung gehen sollte. Am Montag will sich der Senat mit dem Orchestervorstand an den Verhandlungstisch setzen. Ob man der „Madame Butterfly“, die für Dienstag auf dem Spielplan steht, das Ergebnis anhören wird?