Grüner Faden gesucht

■  Parteitag der Berliner Grünen: Die Wahlschlappe liegt nicht nur an der Bundespolitik, sondern offenbart die Existenzkrise der Partei

Auf dem Parteitag der Berliner Grünen brach sich der aufgestaute Unmut über das Agieren der grünen Bundespolitiker Bahn. Realos und Linke warfen am Mittwoch der Bundestagsfraktion gleichermaßen vor, sich beim Sparpaket nicht für soziale Ausgewogenheit eingesetzt zu haben.

Erbost sind die Berliner Grünen vor allem darüber, dass ihre konstruktiven Verbesserungsvorschläge in der Bundestagsfraktion monatelang auf taube Ohren stießen. Briefe, E-Mails, Hintergrundgespräche, alles fruchtete nicht. „Mit Engelszungen haben wir auf einzelne Abgeordnete eingeredet“, berichtete die Berliner Sozialexpertin Sibyll Klotz unter lautem Beifall.

Ein Jahr lang haben sich die Berliner Grünen mit öffentlicher Kritik an der rot-grünen Bundesregierung zurückgehalten. Im Nachhinein kam Nachdenklichkeit auf, ob es richtig war, sich auf Interventionen hinter den Kulissen zu beschränken. Doch was wäre die Alternative gewesen? Sibyll Klotz verweist auf den ehemaligen SPD-Ministerpräsidenten und jetzigen Bau- und Verkehrsminister Reinhard Klimmt. Der hatte sich im saarländischen Wahlkampf mit Nachdruck von Schröders Rentenpolitik distanziert: „Die Klimmt-Nummer wäre uns im Wahlkampf als Opportunismus ausgelegt worden.“

Der Burgfrieden ist nun wohl beendet. Künftig wollen sich die Berliner Grünen viel stärker in die Bundespolitik einmischen, kündigte deshalb die grüne Spitzenkandidatin und Fraktionschefin Renate Künast an.

Mit der Unzufriedenheit über die rot-grüne Bundesregierung allein ließen sich die schweren Verluste der Grünen jedoch nicht erklären, gaben am Mittwochabend mehrere Delegierte zu bedenken. Die Partei verlor ein Viertel ihrer WählerInnen und sackte von 13,2 auf jetzt nur noch 9,9 Prozent ab. Nur den harten Kern ihrer Stammwähler konnten die Grünen noch mobilisieren.

„Warum sollen wir euch noch wählen?“ Mit dieser Frage sahen sich grüne Wahlkämpfer in Berlin über Wochen konfrontiert. Die Grünen hätten inzwischen ein Akzeptanzproblem in ihrer eigenen Klientel, stellte Realo Peter Lohaus fest. „Wir haben mit unseren eigenen Themen ein Problem, Wähler zu halten“, sagte er. Der Magdeburger Beschluss, den Benzinpreis auf 5 Mark zu erhöhen, sei auch bei grünen Anhängern nicht gut angekommen.

Das verschwommene Profil der Grünen in der rot-grünen Bundesregierung habe eine Rolle gespielt, doch die Ursachen für die Verluste liegen tiefer. Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer analysiert: „Wir sollten uns nicht darüber täuschen, wie sehr wir unsere Erfolge als Milieupartei erzielen.“ Stark sind die Grünen nur in den Innenstadtbezirken mit einem alternativen Milieu. „Ich würde mich da gerne täuschen“, sagte Fischer. Denn im Klartext bedeutet dies: Die Grünen kommen aus ihrer Nische nicht heraus.

Für Fischers These spricht auch das Ergebnis im Ostteil der Stadt: die Grünen konnten sich nur dort behaupten, wo ein grünes Milieu existiert – beispielsweise im Szenebezirk Prenzlauer Berg. Andernorts brachen sie völlig ein. Wenn die Grünen aus der Krise finden sollen, sagte Künast, müsse die Partei inhaltlich wieder den „grünen Faden finden“.

Es gelte auch, stärker den Kontakt zu den sozialen Bewegungen suchen. Künasts Devise: „Mehr Grün auf die Straße.“ Da brach bei manchem die Sehnsucht nach alten Zeiten durch. Der Abgeordnete Hartwig Berger wünschte sich: „Die Grünen müssten sich wieder stärker auf ihre rebellischen Traditionen besinnen. Die Opposition muss auch in Barrikaden sichtbar werden.“ Das sei symbolisch gemeint. Aber nicht nur.

Dorothee Winden