Der größte Brückenbau der Welt

Nach zahlreichen Rückschlägen kommen die Verhandlungen zwischen Peking und Washington über den Beitritt Chinas zur WTO wieder voran  ■   Aus Peking Georg Blume

Nach zwei Jahren Finanz- und Wirtschaftskrise, die alle Welt in die Furcht vor der Depression trieb, haben die Globalisierungskräfte in Ostasien wieder Auftrieb. Sicherstes Anzeichen dafür sind die trotz zahlreicher politischer Hindernisse wieder aufgenommenen Verhandlungen zwischen Washington und Peking über den Beitritt Chinas in die Welthandelsorganisation. Wenn stimmt, was beide Regierungen in den vergangenen Tagen verlauten ließen, könnte China noch in diesem Jahr vor der WTO-Gesprächsrunde im November in Seattle Vollmitglied werden – ein Ziel, das nach dem Nato-Bombardement der chinesischen Botschaft in Belgrad und der anschließenden Vertrauenkrise in weite Ferne gerückt war.

Anlass zu neuen Optimismus in dem 13-jährigen Verhandlungsprozess gibt vor allem die neue Entschlossenheit Pekings: In einer groß angelegten Medienkampagne werden seit einigen Tagen die langfristigen Vorzüge eines WTO-Beitritts für China erklärt. Damit scheint sich die chinesische Regierung zu einer Grundsatzposition für die Marktöffnung durchgerungen zu haben, die seit Beginn der Asienkrise so entschieden nicht mehr propagiert wurde.

Gleichzeitig hat auch die amerikanische Regierung ihr altes, strategisches Ziel, China in den Weltmarkt zu integrieren, wieder ins Auge gefasst: „China ökonomisch einzudämmen, es in Armut zu belassen und von unseren Märkten zu isolieren widerspricht all unseren langfristigen Hauptinteressen“, sagte US-Finanzminister Lawrence Summers am Dienstag in New York. Dem folgte die Ankündigung von US-Handelsministerin Charlene Barshefsky am Mittwoch, dass die USA den chinesischen WTO-Beitritt noch in diesem Jahr befürworten.

All das war in den letzten Monaten vor allem in China in Vergessenheit geraten, als Peking kein Ende der Asienkrise sah, im Weltsicherheitsrat mit den Nato-Staaten stritt und im US-Kongress anhaltenden Spionagevorwürfen ausgesetzt war. Inzwischen hat sich die Krisenstimmung gelegt. Und Kern der chinesischen Normalisierungspolitik ist der schon seit langem angepeilte WTO-Beitritt. Er stelle für China eine „nie dagewesene Herausforderung in allen kapitalintensiven Industriebereichen dar“, schriebt ein Pekinger Wirtschaftsblatt und hatte recht damit: Schließlich war China bislang eine durch und durch auf die eigenen Regeln fixierte Volkswirtschaft.

Das soll sich durch den WTO-Beitritt unwiderruflich ändern. Denn die Kommunistische Partei würde damit ihre gesetzgeberische Macht in wichtigen Wirtschaftsbereichen an die internationale Gemeinschaft abgeben. Ihrer Willkür, gegen einzelne Unternehmen vorzugehen, wären Grenzen gesetzt. Das zumindest ist der Traum von Lawrence Summers und seinem Freund, dem chinesischen Premierminister Zhu Rongji. Beide attestieren sich gegenseitig die gleiche Intelligenz, was bei den eigenwilligen Politikern äußerst selten vorkommt und nach Expertenmeinung die Vorrausetzung für eine Einigung wesentlich erhöht.

Gleichwohl haben sie es mit mächtigen Gegnern zu tun. In China ist es die Lobby der Staatsbetriebe. Wer will noch ein chinesisches Auto kaufen, wenn die Kfz-Importsteuer über 100 Prozent in ein paar Jahren wegfällt? Wer eine chinesische Staatsaktie kaufen, wenn die Finanzmärkte eines Tages offen wären? Schon in den vergangenen zwei Jahren verloren 25 Millionen Angestellte ihren festen Arbeitsplatz in einem Staatsbetrieb. Wie viele werden es erst sein, wenn auch die derzeit noch geschützten Branchen wie Auto-, Telekommunikations- und Finanzindustrie sich dem internationalen Wettbewerb stellen müssen?

Die WTO-Befürworter rechnen anders: Da die Staatsbetriebe jährlich umgerechnet 33 Milliarden Mark an Subventionen verschlingen, sei eine Strukturreform auch arbeitspolitisch unvermeidlich. Ohnehin hätten Branchen wie Textil und Elektronik, die schon seit Jahren der Weltmarktkonkurrenz ausgesetzt seien, in letzter Zeit mehr Arbeitsplätze geschaffen als andere. Und die Öffnung der Märkte zum Ausland schaffe auch neue Chancen: China könne die Textilbranche dominieren, und mehr ausländische Konzerne würden in China investieren.

In Amerika geht es dagegen vor allem um das weltpolitische Kalkül: „China ist nicht nur eine Quelle großer Möglichkeiten, sondern auch in zunehmenden Maße ein Konkurrent“, räumte der demokratische Kongressabgeordnete Sander Levin kürzlich ein. So waren es vor allem die Spionageenthüllungen, die eine fast schon erzielten WTO-Kompromiss im Frühjahr zunichte machten. Doch damals ereilten chinakritische Mitglieder des US-Kongresses erboste Anrufe der Industrie. Ihr Veto für China brachte die Verhandlungen wieder auf Kurs. Sollten sie erfolgreich sein, entstände laut Levin die „größte Brücke zwischen Ostasien und dem Westen seit den Tagen Marco Polos“.