Autobahn im Blut

In der kommenden Woche begeht die „Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen“ (FGSV) ihren 75. Geburtstag. Ein Grund zum Feiern? Kaum: Die Gesellschaft hat eine dunkle, von ihr noch längst nicht aufgearbeitete Vergangenheit. Zu ihrer unrühmlichen ersten Blüte fand sie im Dritten Reich Von Bernd Herzog-Schlagk

Dr. Ing. Fritz Todt, Wegbereiter und Impulsgeber der „Studiengesellschaft für Automobilstraßenbau“ (Stufa), war schon 1923, also zehn Jahre vor der Nazimachtergreifung, NSDAP-Mitglied. Todt, keineswegs ein unpolitischer Straßenbauingenieur, erklärte die Anfangsphase des Automobilstraßenbaus so: „Das bisherige System hatte kein Verständnis für Autobahnen. Es hat sich auf den gewundenen, unübersichtlichen und immer wieder durchkreuzten Wegen wörtlich und bildlich wohl gefühlt. Unserem nationalsozialistischen Wesen entspricht die neue Straße Adolf Hitlers: die Autobahn.“ Für ihn war es selbstverständlich, dass die „Wegbereiter des Verkehrs alle dem nordischen Kulturkreis“ entstammten, und dafür gab es nur eine einzige plausible Erklärung, „eine Veranlagung, ein Blut, eine Erbanlage“.

Kein Wunder, dass Fritz Todt Mitte 1933 zum „Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen“ ernannt und dieses Amt im November dem Führer direkt unterstellt wurde. Adolf Hitler begründete dies mit den Worten: „Ein Fanatiker hat sich dieses Werkes angenommen und führt es nun weiter.“ Todt erfand den Slogan „Straßen des Führers“, durch den sich die Volksgenossen für die Autobahn begeistern und sich auf diese Weise mit Staat, Partei und Führer identifizieren sollten. Mit seiner Propaganda war Todt nachhaltig erfolgreicher als der zuständige Minister Joseph Goebbels. Noch heute bewundern nicht nur Leute wie der Österreicher Jörg Haider die „ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich“.

Anlässlich ihres letzten großen Jubiläums 1974 gab die Forschungsgesellschaft für Straßenwesen eine Festschrift heraus, in der die Zeit von 1933 bis 1945 als besonders leistungsstarke Jahrgänge der Vereinsarbeit dargestellt wurde. Tatsächlich war die Gesellschaft nach ihrer Gründung im Jahr 1924 nicht sonderlich einflussreich gewesen. Während Albert Speer, der Vorsitzende der Jahre 1942 bis 1945, beim goldenen Jubiläum 1974 in der Ahnentafel unter „Vorsitzende und Ehrenmitglieder“ unerwähnt blieb, wurde geradezu euphorisch hervorgehoben, dass der Straßenbau unter seinem Vorgänger Fritz Todt „einen außerordentlichen Aufschwung“ erlebte. Todt hatte die Forschungsgesellschaft von 1934 bis zu seinem tödlichen Flugzeugabsturz im Jahr 1942 geleitet. Wieso ein glühender Nationalsozialist wie Todt von der Forschungsgesellschaft noch 1974 derart geehrt werden konnte, ist an anderer Stelle des Berichts nachzulesen: Er sorgte „für die Finanzierung vorgeschlagener Forschungsarbeiten aus Reichsmitteln“.

Ende 1934 wurde die Stufa mit einer bereinigten Mitgliederschaft – die „Abgänge“ werden nie erwähnt – übergeleitet in die „Forschungsgesellschaft für Straßenwesen“. „Damit“, so die Chronik, „beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte“ des Vereins. Was damit gemeint war, folgte in der Darstellung der Arbeit des Jahres 1935. Fritz Todt saß als neuer Vorsitzender der Forschungsgesellschaft im von ihm gegründeten und geleiteten Forschungsbeirat, der über die Gewährung von Forschungsmitteln aus öffentlicher Hand zuständig war, die Todt als Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen zu vergeben hatte. Eine ideale personelle Regelung für den Verein, zumal der Generalinspektor für den Autobahnbau annähernd 4,6 Milliarden Reichsmark aus der Kasse der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und erhebliche Mittel aus der Kasse der Reichsbahn entnehmen durfte.

Die Forschungsgesellschaft war ein, wenn auch vergleichsweise bescheidener Nutznießer: 1935 etwa wurden hunderttausend Reichsmark zur Verfügung gestellt, ein Jahr darauf gar eine Viertelmillion. Darüber hinaus war der Generalinspektor befugt, andere Vereine wie den „Hauptausschuß der Zentralstelle für Asphalt- und Teerfoschung“ oder den weit größeren „Deutschen Straßenbauverband“ aufzulösen, deren Vermögen der Forschungsgesellschaft zuzuführen und den Mitgliederbestand einzuverleiben.

So stieg die Mitgliederzahl von 393 im Dezember 1934 auf 656 im Jahr 1936, ein Jahr später waren es bereits 741. Straßenbaufirmen wie die Hochtief AG profitierten als Mitglieder der Forschungsgesellschaft von den guten Beziehungen und von den Bedingungen im Billiglohnland Deutsches Reich, in dem alle Eigentumsrechte durch ein Enteignungsgesetz ausgehebelt wurden. Dennoch könnte man meinen, sie taten damals das, was man von verantwortungsbewussten Arbeitgebern auch heute noch erwartet: Sie schufen Arbeitsplätze. Fritz Todt versprach schon 1932 für den Bau von Autostraßen sechshunderttausend neue Arbeitsplätze; der Höchststand wurde im Juli 1936 mit 124.483 Beschäftigten erreicht. Gleichwohl hatte das das sogenannte „Hitler-Programm“ zum Straßenbau in den dafür wesentlichen ersten Jahren nach der Machtergreifung nur einen Anteil von ca. 2,3 Prozent an den neu geschaffenen Arbeitsplätzen. Todt erklärte später selbst, „dass die Arbeitsbeschaffung nicht der Grundgedanke der Autobahn sei“, das war hauptsächlich durch die Aufrüstung bewerkstelligt worden.

Die Nazis interpretierten die Menschheitsgeschichte dahingehend, dass große Straßenbauten ein Symptom für eine starke Staatsgewalt seien und der Machtdarstellung und seiner Inszenierung dienten. So jubelten dann sechshunderttausend Menschen am 19. Mai 1935 Adolf Hitler zu, als dieser die erste fertig gestellte Strecke von Frankfurt nach Mannheim abfuhr. Doch waren diese 22 Kilometer Menschenkette keine Autobahnarbeiter. Die so genannten „Helden der Arbeit“ an den „Straßen des Führers“ waren in der Regel „unzuverlässige“ Arbeiter im Sinne der NSDAP: Gewerkschaftsmitglieder, Sozialdemokraten und Kommunisten. Als dann im Reich die Arbeitskräfte knapper wurden, kamen ab 1937 auch Frauen und schulpflichtige Kinder zum Einsatz, 1938 ging Todt offen zur Zwangsrekrutierung über. Dabei arbeitete die so genannte „Organisation Todt“ (OT) von Anfang an eng mit der Gestapo zusammen.

Der Einmarsch in Österreich und in das Sudetengebiet sowie die Besetzung der Tschechoslowakei führten den Baustellen neue Arbeiter zu. So wurden etwa die Mitglieder und die Kasse der „Österreichischen Straßengesellschaft“ übernommen. Dass der Verein unter diesen Gegebenheiten seine „Aufgaben zielbewusst und erfolgreich verfolgt hat“, dass es „außerordentliche Aktivitäten“, eine „große Vielfältigkeit“ und „ständig neue Aufgaben“ gab, ist kaum verwunderlich. 1938 „erreicht die Tätigkeit der Forschungsgesellschaft ihren Höhepunkt“ – all dies keine Formulierungen aus dem Völkischen Beobachter, sondern aus der Chronik „50 Jahre Forschungsgsellschaft“.

Im März 1939 erhielt Todt, Mitglied der antisemitischen Thule Gesellschaft, den vom ihm erwünschten Bescheid, dass nun auch Juden „zum Einsatz zu bringen“ seien – und so wurden jüdische Häftlinge, Straf- und Kriegsgefangene sowie Fremdarbeiter mit Gewalt an die Baustellen geschafft, um diese weiterhin als größte positiv besetzte „Gesamtaufgabe des Wiederaufbaus des Reiches“ und als die „Lebensadern der Nation“ darzustellen. „Wir sind stolz auf die Tatkraft und die Leistung unseres Führers, und so wollen wir dem Führer treue Gefolgschaft leisten für alle Zeiten“, animierte Fritz Todt in seiner Rede vor der Frankfurter Börse am 23. September 1933 die ersten, symbolisch mit Spaten bewaffneten Autobahnarbeiter. Doch schon wenige Monate danach häuften sich die Fluchtfälle derart, dass er bewaffnete SA-Einheiten an Autobahnbaustellen einsetzen ließ. Ab Herbst des Jahres wurde dann die Arbeiterschaft mit linientreuen SA-Leuten durchsetzt, um den Widerstand im Keim zu ersticken. Als dies nicht fruchtete, wurden die SA-Mitglieder in „Baustürmen“ zusammengefasst, die sich als uniformierte Schlägertrupps betätigten.

Todt versuchte, in den Autobahnlagern „in jeder Art den Geist Adolf Hitlers“ herrschen zu lassen. Schlafgelegenheiten mit 1,3 Quadratmetern pro Arbeiter in den Baubuden, weitab jeder sanitären Einrichtung, Arbeitszeiten mit zwölf bis sechzehn Stunden, ohne freie Tage oder Urlaubsansprüche – mit dem „Lohn und Brot“ war es nicht weit her, allenfalls mit der Ehre, fürs Vaterland zu schuften, zu hungern oder als „Gefallener der Arbeit“ zu enden. Erkrankte und Erschöpfte wurden der Arbeitssabotage bezichtigt. Immer häufiger wurden sie in Konzentrationslager deportiert, und im Oktober 1939 wurde auf Veranlassung von Todt für die „Arbeitsverweigerer“ eigens das SS-Sonderlager Hinzert im Hunsrück eingerichtet. Während derzeit die Entschädigungsfrage für solche Zwangsarbeiten in allen möglichen Wirtschaftsbereichen wieder heftig diskutiert wird, herrscht bei den am Autobahnbau beteiligten Straßenbaufirmen noch immer eisiges Schweigen.

Im 75. Jahr seines Bestehens und 54 Jahre nach dem Untergang des Dritten Reichs sollte die Frage an den Verband erlaubt sein, wie er mit den Personen umgehen will, die nicht vom Aufschwung des Verbandes während der NS-Diktatur profitierten, sondern psychisch und körperlich ausgebeutet wurden. Womöglich ist die Forschungsgesellschaft inzwischen auch bereit, die Liste ihrer Ehrenmitglieder kritisch zu durchleuchten. Denn keineswegs war die Geschichte der Forschungsgsellschaft so „geradeaus“, wie die Autobahnen noch heute gebaut werden.

Bernd Herzog-Schlagk, 52, ist Mitarbeiter im Gemeinschaftsbüro vom Arbeitskreis Verkehr und Umwelt Umkehr e. V. und dem Fußgängerschutzverein Fuss e. V. in Berlin