Scheiß Kanake, ganz normal

■ In der Soldiner Straße im Bezirk Wedding haben die „Republikaner“ ein zweistelliges Ergebnis eingefahren: nämlich 10,3 Prozent. Das Quartier spalten massive Intoleranz und rechte Töne

„Wenn dich einer verprügelt, ist es egal, welche Hautfarbe er hat.“ Ein anderer dagegen meint, es gibt „Ausländerbanden, die dich platt machen“.

Das Plakat ist nur noch in Fetzen erhalten. „Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten“, steht auf dem verblassten Papier an einer graubraunen Häuserwand in der Soldiner Straße in Wedding. Nur wenige Meter entfernt haben die „Republikaner“ eine andere Parole druckfrisch plakatiert: „Multikulti – das hat sich erledigt!“

Die Botschaft ist angekommen. Mit 10, 3 Prozent haben die Rechtsextremen letzten Sonntag im Wahlkreis 85, dem Problembezirk Soldiner Straße Ecke Koloniestraße, so viele Stimmen erhalten wie nirgendwo sonst in der Stadt. Zwei Sitze bekommt die Partei zukünftig in der Bezirksverordnetenversammlung Wedding. „Klar sind hier zu viele Ausländer“, sagt auch Gezer Iskender aus der Soldiner Straße. „Die gehen nicht arbeiten und machen Ärger.“ Sprüche von Deutschen wie „Scheiß Kanake“ findet der gebürtige Türke nicht der Rede wert: „Für uns ist das ganz normal“, sagt der 22-Jährige und lässt seinen Fußball vom Boden zurückprallen. Seit 11 Jahren lebt er hier. Doch von Problemen mit Deutschen will er nicht sprechen. „Die sind doch nur im Kopf rechts“, meint er ungerührt.

Und es werden mehr. 3,7 Prozentpunkte haben die „Republikaner“ seit der letzten Wahl hier dazugewonnen. Die Gleichgültigkeit der Mehrheit hat ihnen in der Statistik ein zweistelliges Ergebnis beschert: Ganze 304 der 802 Wahlberechtigten im Kiez haben am vergangenen Sonntag ihr Kreuz gemacht.

Nur 35, 5 Prozent hat die CDU hier bekommen, und auch die SPD liegt unter dem Weddinger Durchschnitt. Die Grünen kamen auf 11,4, die PDS auf stolze 6,6 Prozent. Und für die NPD stimmten ganze drei Wahlberechtigte. Der Rest, mehr als die Hälfte, blieb zu Hause.

Gezer ist einer davon. „Bringt doch nichts“, meint der arbeitslose Maler mit dem schwarzen Lockenkopf. Von Problemen will auch sein Freund nichts wissen: „Das ist kein Ghetto hier“, sagt er knapp. Und schiebt hinterher: „Schreib das bloß nicht.“

Gezer, der die Deutschen für zu tolerant gegenüber den Ausländern“ hält, sieht das anders. „Der Park ist voller Dreck.“ Dass „die Ausländer“ schuld daran sind, ist für ihn Tatsache. „Wenn die Deutschen in der Türkei das machen würden, gäbe es mehr Ärger als hier.“

Den Ausländeranteil finden nicht nur Gezer und die „Republikaner“ zu hoch. Auch der Bezirksbürgermeister Hans Nisblé (SPD) beklagte letztes Jahr die Quote von 52 Prozent Türken, Arabern und Bosniern. Als 1997 in der Koloniestraße eine Unterkunft für Kriegsflüchtlinge einrichten wollte, gingen die Anwohner auf die Barrikaden und stampften eine Bürgerinitiative aus dem Boden. Die „Republikaner“ haben das passende Motto gut sichtbar auf blauer Pappe an der Laterne angebracht: „Handeln statt quatschen“. Zwei U-Bahn-Stationen entfernt diskutieren Schüler der Ranke-Oberschule an diesem Nachmittag über Strategien gegen Rechts.

Auch hier läßt der Erfolg der Republikaner die Emotionen hochkochen. „Das war das krasseste Ergebnis in Berlin“, sagt einer mit Blick auf den Nachbarkiez. Auch der 19-jährige Severino, der in der Koloniestraße wohnt, macht sich Sorgen. „Viele Deutsche, die mit der Welt nicht mehr klarkommen, driften nach rechts, Alkoholiker und so“, sagt der Junge mit dem blonden Pferdeschwanz und den weiten Hosen.

Auf dem Podium warnt der 17-jährige Yves von der „Antifa-Jugendaktion Schöneberg“ davor, die Probleme mit Drogen, Arbeitslosigkeit und Gewalt im Kiez an der Herkunft der Menschen festzumachen: „Wenn dich einer verprügelt, ist es egal, welche Hautfarbe er hat.“ Ein Zuhörer erzählt dagegen von „Ausländerbanden, die dich einfach so platt machen“.

Trotzdem kommen die fünfzig Schüler zu einem überraschend einhelligen Ergebnis: „Wo Menschen nicht nach ihrem Verhalten, sondern nach Herkunft und Hautfarbe beurteilt werden, fängt der Faschismus an.“

Im Quartiersladen in der Koloniestraße 129 bemühen sich die Sozialarbeiter seit April des Jahres, den sozialen Sprengsatz Soldiner Straße zu entschärfen. „Hier wohnen arme Leute mit wenig Perspektiven“, sagt Quartiersmanager Werner Druskat.

Die „Republikaner“ sind für ihn kein Problem, sondern eine Minderheit. Am Stammtisch könne man zwar ausländerfeindliche Sprüche hören, „emotionale Äußerungen im vorpolitischen Raum“. Die eigentliche Katastrophe aber ist den Augen Druskats die fehlende Beteiligung der Anwohner: „Die erwarten nichts mehr von der Politik.“

Aufgeben will Druskat den Kiez, der seit Jahren immer wieder durch Schutzgelderpressung und Drogenhandel negative Schlagzeilen macht, nicht. Das Quartiersmanagement, vom Senat mit 300.000 Mark pro Jahr gefördert, stoße auf große Resonanz. „Die Leute wollen etwas verändern.“ Und: Gemessen an den ärmlichen Verhältnissen seien die Menschen hier noch toleranter als in bürgerlichen Bezirken: „Stellen Sie doch mal ein Heim für Kriegsflüchtlinge nach Zehlendorf!“

Andreas Spannbauer