■ Urteil: Zeitung muss für Online-Beiträge bezahlen
: Ins Netz gegangen

Hallo? Sie da! Haben Sie mich angeklickt? Hat eine Suchmaschine mich gefunden? Oder halten Sie mich etwa fest in Händen? Dann lesen Sie mich ja doch noch auf gutem altem Zeitungspapier und haben wahrscheinlich sogar für mich bezahlt. Im Internet bin ich einfach da – jederzeit abrufbar und für jedermann zugänglich. Bezahlen muss man dort für Artikel wie mich selten, die Leser nicht und die Verleger auch nicht. Das ist eben so. Oder doch nicht?

Erstmals hat diese Woche ein deutsches Gericht entschieden, dass „Online eindeutig eine andere Veröffentlichungsform“ ist, und fünf Fotografen Recht gegeben, die Geld wollen, weil eine Zeitung ihre Bilder auch im Internet verwendet hat. Der Berliner Tagesspiegel muss Schadensersatz zahlen und diese Art der Zweitverwertung künftig unterlassen. Über den Prozess hat die deutsche Presse wenig berichtet. Mag sein, dass die Verleger Muffensausen haben, weil sie wissen, dass dieses Urteil weitreichende Folgen haben wird.

So wie der Tagesspiegel veröffentlichen fast alle Zeitungen ihre Beiträge auch auf ihrer Homepage. Bezahlt werden die Autoren meist nur für gedruckte Artikel. Das ist gängige Praxis, aber eigentlich absurd. Beispiel Tagesspiegel: Während die verkaufte Auflage sinkt, wird die elektronische Version immer beliebter. Allein im September hatten die Internet-Seiten des Tagesspiegel 724.704 Besucher. Selbst wenn man die Doppelklicker abzieht, gibt es eine riesige Leserschar, die lieber den Computer einschaltet, als an den Kiosk zu gehen. Man mag das gut oder schlecht finden, aber der Trend ist unumkehrbar. Darauf müssen die Verlage reagieren. Manche haben es bereits und wie Focus und Spiegel eigene Online-Redaktionen eingerichtet. Wenn Online-Redaktionen besser zahlen als Printmedien, werden manche Journalisten nur noch dort schreiben.

Vor allem aber geht es um das Urheberrecht. Abgeschrieben wurde schon immer, aber durch das Internet ist es viel leichter geworden. Ein paar Mausklicks, schon ist der Text (oder das Foto) kopiert. Abgekupfert wird auch umgekehrt, vom Papier ins Netz. Das alles ist schwer zu kontrollieren und fand bisher im rechtsfreien Raum statt. Der Tagesspiegel-Prozess ist ein Präzedenzfall. Wird das Urteil rechtskräftig, können die Verleger nicht mehr machen, was sie wollen. Wenn sie ohne Risiko ins Netz gehen wollen, müssen sie ihre Mitarbeiter zumindest vorher fragen. Tun sie das nicht, haben Journalisten jetzt etwas in der Hand. Lukas Wallraff