■ Kommentar
: Ungewohnter Ton  Bundesregierung will jugendlichen Randgruppen helfen

Die Situation von Jugendlichen in sozialen Brennpunkten ist alarmierend“, so die Bundesjugendministerin Christine Bergmann. Ein richtige, vor allem eine ungewöhnliche Erkenntnis. Denn wann hat eine Regierungsvertreterin jenseits von Sonntagsreden das letzte Mal öffentlich darauf verwiesen, dass einiges faul ist in der Republik? Und wichtiger noch, dass man nicht mehr gewillt ist, die soziale und gesellschaftliche Ausgrenzung junger Menschen so einfach hinzunehmen?

Nichts ist leichter, als das Programm „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunktgebieten“, in das die Bundesregierung nun gemeinsam mit den Kommunen und Arbeitsämtern bis zu 95 Millionen Mark investieren möchte, abzuwatschen. Die Kritikpunkte liegen auf der Hand: Das Programm ist mit zu wenig Mitteln ausgestattet, es ist nicht flächendeckend. Alles richtig. Und doch ist es mehr, als man in einer Zeit, in der sich die neue Mitte nur noch mit Zynismus der sozialen Frage anzunehmen scheint, erwarten durfte.

Zur Erinnerung: Noch vor ein, zwei Jahren herrschte ein ganz anderer, ein schriller Ton. Härtere Strafen statt Prävention, null Toleranz gegenüber Gewalttätern und dem Sozialhilfemissbrauch, Schluss mit dem sozialromantischen Pädagogikgequatsche. Das war der Sound, den nicht nur die Konservativen anstimmten, sondern der auch aus Blättern quoll, die sich in der Vergangenheit einiges auf ihren aufklärerischen, kritischen Journalismus eingebildet hatten. Wer auf Kausalzusammenhänge zwischen sozialer Lage, Bildungschancen und beispielsweise Delinquenz beharrte, der setzte sich dem Verdacht aus, noch immer nicht begriffen zu haben, dass heute die Uhren ganz anders ticken.

Wir dürfen die Jugendlichen in den sozialen Brennpunktgebieten nicht aufgeben“, sagt Ministerin Bergmann. Dies ist noch kein Paradigmenwechsel in der Auseinandersetzung mit den sozialen Randgebieten des Landes. Es ist noch nicht die überfällige Ausbildungsoffensive, die Bildungs- und Sozialpolitiker seit Jahren vor allem für Jugendliche aus Ostdeutschland und aus Migrantenfamilien einklagen. Aber immerhin ist es die Botschaft, dass man in der Regierung wieder gewillt ist, sich den sozialen Realitäten im Land zuzuwenden. Eberhard Seidel

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