Studenten, bleibt in der Provinz!

■  Ab heute bahnen sich die Berliner Studenten wieder ihren Weg durch das Chaos. Für Erstsemester ist die Hauptstadt nicht mehr attraktiv. In den letzten Jahren haben die Politiker nur gespart, auf Reformen aber verzichtet

Sie sind nicht willkommen, und sie sollen es auch nicht sein. „Die Zufriedenheit der Studenten“, bekennt der Jurist Dieter Simon, sei für die Qualität einer Hochschule „nicht das entscheidende Kriterium“. Wer „auf Gemütlichkeit Wert legt“, solle lieber in der Provinz bleiben. In Berlin mag der Präsident der Akademie der Wissenschaften nur „die intellektuell anspruchsvollsten Studenten“ sehen, „die sich durchsetzen wollen“.

Das Durchbeißen können die Studenten, für die heute wieder das Semester beginnt, an Berlins Hochschulen gewiss lernen. Nicht allein, dass das Land nur noch für 85.000 Studienplätze aufkommen will, obwohl 135.000 Studenten an Universitäten, Fach- und Kunsthochschulen eingeschrieben sind. Sie müssen sich obendrein mit einer chaotischen Organisation herumschlagen, mit zerstückelten Bibliotheken und einer kafkaesken Bürokratie, mit abwesenden Professoren und unsinnigen Lehrplänen.

Kein Wunder, dass die Studenten der Hauptstadt fernbleiben – teils freiwillig, teils durch einen immer schärferen Numerus clausus abgeschreckt. Die Freie Universität, noch immer größte Hochschule der Stadt, schrumpfte von einst 60.000 auf nur noch 44.000 Studenten. In keiner deutschen Großstadt gibt es, gemessen an der Einwohnerzahl, so wenig Studenten wie in Berlin. Nur jeder dreißigste Hauptstädter ist an einer Hochschule eingeschrieben. In München studiert jeder zehnte Bewohner, und selbst in einer Stadt wie Dortmund – nicht eben als intellektuelle Hochburg bekannt – noch jeder zwanzigste.

„Berlin bleibt als Wissenschaftsstadt hinter seinen Möglichkeiten zurück“, so lautet die ernüchternde Bilanz einer vom Senat in Auftrag gegebenen „Berlin-Studie“. Auf deutschlandweiten Ranglisten landeten die Berliner Hochschulen „durchweg auf mittleren, teilweise noch schlechteren Plätzen“.

Im vergangenen Jahrzehnt hat sich die Landespolitik vor allem aufs Sparen konzentriert. Ein Drittel ihres Geldes und folglich auch des Personals haben die Hochschulen in diesem Zeitraum eingebüßt. Das alleine genügt freilich nicht, um die Krise der Hochschulen zu erklären. Sparen alleine ist eben noch keine Reform. Der scheidende Wissenschaftssenator Peter Radunski hatte die überfällige Reform schlicht zur „Sache der Hochschulen“ erklärt. Das Landesparlament hob einen Teil der gesetzlichen Vorschriften auf, damit sich die Unis am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen könnten.

Der Schuss ging nach hinten los. Jahrelang debattierten Professoren und Studenten in den universitären Gremien über Details der hochschulinternen Organisation. „Kuratorien“ mit ahnungslosen Beratern von außen oder „Studiendekane“ ohne wirklichen Einfluss – das Gremienchaos, ohnehin ein Handicap der deutschen Universitäten, trieb neue Blüten. Die meisten Professoren und Studenten waren bereit, alle „Strukturen“ zu ndern – damit in Wahrheit alles so bleiben konnte, wie es war.

Dass sich alle gleichermaßen um die Reform herumdrücken, hat vor allem einen Grund: Über die notwendige Richtung des „Rucks“, den alle fordern, gehen die Ansichten weit auseinander: Soll das Studium stärker verschult und reglementiert werden, durch begleitende Prüfungen und Sanktionen für „Langzeitstudenten“? Oder ist es, ganz im Gegenteil, der bestehende Wirrwar bürokratischer Anforderungen und teilweise unsinniger Leistungsnachweise, der die Studienzeiten unnötig verlängert? Müssen die Hochschulen praktische Fertigkeiten fürs Berufsleben vermitteln oder sollen sie sich angesichts unsteter Arbeitsmärkte lieber auf die reine Wissenschaft zurückziehen? Sollen Studierende mittels Gebühren geschröpft oder müssen sie per Bafög unterstützt werden?

Unumstritten ist dagegen, dass die in Berlin reichlich vertretene prominente Garde wissenschaftlicher Koryphäen den Studenten nicht mehr als eine Anleitung zum Selbststudium bietet – ohne jeden Bezug zur beruflichen Praxis. Die Hochschulpolitik wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass der Mehrzahl der Studenten eine gute Betreuung wichtiger ist als wissenschaftliche Höhenflüge. Das zeigen die Ranglisten, in denen unbekannte Kleinstadt-Unis regelmäßig Spitzenplätze belegen.

Ralph Bollmann