Der große Herr Goethe im Hemd

■ SchülerInnen und die Europäische Chorakademie setzten sich farblos bis phantasiereich mit "Faust" auseinander

„Der Faust ist doch etwas Incommensurabeles, und alle Versuche, ihn mit dem Verstand näher zu bringen, sind vergeblich.“ Robert Schumann hatte seine Skrupel und Unsicherheiten bei der Vertonung von Goethes Faust, und es entstand ein Kunstwerk von unvergleichlicher ästhetischer Neuheit: „Szenen aus Goethes Faust“ sind weder Oper noch Kantate noch Oratorium. Viele Auseinandersetzungen mit dem Hauptwerk unseres Jubiläumsdichters waren jetzt in der Glocke zu erleben: Angeregt von der Europäischen Chorakademie an der Hochschule Bremen setzten sich Schüler und Schülerinnen mit „Faust“ und Goethe auseinander, Preise wurden ausgeschrieben in den Kategorien Kunst, Literatur und Musik.

Man macht sich kaum einen Begriff davon, wieviel den jungen Leuten zum Thema eingefallen ist. Es sind Einfälle, die sämtlich keine ehrfurchtsvollen Kniebeugen machen vor dem größten deutschen Bildungsgut, sondern kritisch, ironisch und witzig mit dem Thema umgehen: So erhielten den ersten Preis in der Kategorie Kunst fünf SchülerInnen der freien evangelischen Bekenntnisschule, die eine große Zitatenmontage herstellten, darauf Tischbeins berühmtes Campagnabild montierten, Goethe eine venezianische Maske verpassten und das Ganze in einen zerbrochenen Goldrahmen setzten. Preise erhielten zum Beispiel auch eine literarische Montage mit dem Thema „Willkommen und Abschied“, ein tiefroter „Faust“ umgeben von Insekten, Goethe im Unterhemd. In einer leider schon wieder abgehängten Ausstellung wurden die Arbeiten gezeigt und brachten einen durch Witz und Phantasie dauerhaft zum Schmunzeln.

Das machte das Publikum aufnahmebereiter für die Wiedergabe von Robert Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“, die die Europäische Chorakademie und die Münchner Symphoniker unter der Leitung von Joshard Daus anschließend spielten. Der erste Teil war enttäuschend, es fehlte im Orchester – nicht im Chor – an Konturen, Klangfarben, Homogenität. Schumanns schwieriges Werk, das für jede Szene eine eigene geistige Aura bildet, spulte ohne sensible Impulse ab, vielleicht war das Ganze auch ein wenig viel, denn der Aufführung war ein dirigentischer Meisterkurs über „Faust“ vorausgegangen, den Joshard Daus auch leitete.

Die Erwartungen waren also in der Pause niedrig gehängt, danach aber wurde man überrascht von einer viel besseren Qualität. Das Orchester hatte nun zwar keine überragenden, aber doch hörenswerte Qualitäten, der Chor sang bestens trainiert und die Solisten konnten sich hören lassen.

Allen voran Richard Salter als facettenreicher Faust: Ein großer Charakterbariton, den wir aus vielen Bremer Rollen im Theater am Goetheplatz noch gut in Erinnerung haben. Manuela Uhl als Gretchen hat ein schönes Timbre, leider gar keine Diktion. Und das große Vibrato des Tenors Thomas Dewald veschwand im Laufe des Abends. Friedemann Kunder war ein lyrischer, ungefährlicher Mephisto (was sich mit Schumanns Entwurf deckt). Erschreckend war der Besuch: Zog man die vielen Menschen, die wegen des Wettbewerbs in das Konzert geraten waren, ab, dann blieb nicht viel Publikum. Vielleicht haben wir im Augenblick doch ein Überangebot.

Ute Schalz-Laurenze