Kinder im Krieg

■ Das MOKS-Theater hat Shakespeares „Heinrich V“ für Kinder inszeniert. Es ist kein Anti-Kriegs-Stück geworden

Als die zum größten Teil kindlichen Zuschauer in den Vorstellungsraum gelassen werden, spielen auf der Bühne gerade zwei Jugendliche miteinander. Sie jagen einander über die Bühne, raufen und beginnen schließlich spielerisch miteinander zu fechten. Als die Erzählerin(Prisca Maier) in ihrem langen „Erzählermantel“ aus einer der Bodenluken tritt und einem der beiden – einem Jungen in kurzen Hosen und mit nacktem Oberkörper – eine weiße Papierkrone auf den Kopf setzt, ist aus dem ausgelassenen Kind ganz plötzlich ein König geworden: König Heinrich der Fünfte – der Herrscher über England. Nun wird er sich nicht mehr wild und übermütig benehmen – so kündigt die Erzählerin an, die ganz offensichtlich in die Zukunft blicken kann –, sondern erwachsen, würdevoll und fromm. Ob das wohl gutgehen wird?

Dies ist die für jedermann nachvollziehbare Ausgangssituation von Ignace Cornelissens „Heinrich der Fünfte“, einer Bearbeitung des gleichnamigen Shakespeareschen Historiendramas für die kleinen Zuschauer. Mit gerade mal vier Schauspielern und noch weniger Requisiten, dafür aber umso mehr Phantasie und Spielfreude wurde Stefan Beckers Umsetzung des Stücks am Samstag zum ersten Mal im MOKS-Theater gezeigt.

Wie schon bei Shakespeare, geht es natürlich auch in diesem Stück nicht lange gut mit Heinrichs überraschender charakterlichen Wandlung. Das hat einen ganz einfachen Grund: Heinrichs Staatskasse ist leer. Und sie bleibt auch leer – so oft der frischgebackene König (Hermann Book) auch den schweren hölzernen Deckel des Unterbodens der Bühne hochstemmt und suchend in die Öffnung blickt. Eines Tages fährt Heinrich dann übers Meer nach Frankreich – ein weißes Papierschiff bewegt sich schaukelnd über den Bühnenboden – und entdeckt dort eine wunderschöne Burg: Die besteht zwar eigentlich nur aus zwei Schauspielern, die lächelnd umeinander herumtänzeln, sich im Kreis drehen und lieblich in den Zuschauerraum winken, aber dieser Anblick genügt, um Heinrichs Neid und Habgier zu erwecken. Und als ihm dann auch noch die schöne Prinzessin Katherine (Christine Ochsenhofer) vom frischgebackenen französischen König (Klaus Schumacher) vor der Nase weggeschnappt wird, ist von Heinrichs königlicher Würde und Frömmigkeit nicht mehr viel übriggeblieben. Nun gibt es für ihn nur noch eine Lösung: Krieg.

Obwohl Heinrichs Soldaten nur in Form von Holzklötzen mit darauf aufgespießten Kartoffeln dargestellt werden – und somit bei ihrem Sterben keine Köpfe, sondern nur die Kartoffeln rollen –, begreifen selbst die kleinsten unter den Zuschauern, dass diese Lösung nicht gerade ideal ist. Der Krieg mit Frankreich folgt hier anders als in Shakespeares Stück nicht den Gesetzen einer ewig waltenden Gerechtigkeit, sondern der Willkür und dem Egoismus eines unreifen Kindes. Trotz der abschreckenden Schilderung von Kriegsgräueln und mancher satirischen Tendenz ist aus Shakespeares patriotischem Geschichtsdrama in dieser Bearbeitung kein wirkliches Anti-Kriegs-Stück geworden. Das liegt daran, dass diese Auslegung des Stücks keine wirkliche Alternative für Heinrich aufzeigt: So simpel und wenig reflektiert seine Handlungsweise auch ist, so verständlich und einleuchtend muss sie doch gleichzeitig jedem unvoreingenommenen Zuschauer – und das heißt vor allem: jedem Kind im Publikum – erscheinen.

Ob das der Sinn der Sache war? Glücklicherweise bleibt gerade in den Kriegsszenen am Schluss aber doch vieles im Vagen. So sieht man bei den Kämpfen der beiden Könige im Dunkeln lediglich ihre beiden weißen Kronen leuchten – wer jeweils gerade die Oberhand hat, ist nicht erkennbar und möglicherweise auch gar nicht so wichtig. Klar ist nur eines: Die Königskrone wird Heinrich in seinen schlaflosen Nächten immer schwerer, viel lieber als der König von England wäre er wieder der kleine Junge von früher. Mona Clerico

Aufführungen: heute und morgen 10.30 Uhr, Donnerstag 10.30 und 15 Uhr, 30. Okt. 17 Uhr, 31.Okt. 11 Uhr