Die Hand, der Begriff und das Paradies

■ Toni Morrison war bei den „Berliner Lektionen“ und las aus ihrem neuen Roman

Es ist ein schöner Herbstsonntag, Blätter fallen auf den Bürgersteig der Hardenbergstraße. Vor dem Renaissance-Theater hat sich eine Menschentraube gebildet. Man wartet geduldig auf Einlass: Im Rahmen der „Berliner Lektionen“, bei denen sich Künstler und Literaten alljährlich zu den gesellschaftlichen und politischen Zuständen ihrer Zeit äußern, wird Toni Morrison reden. Seit die amerikanische Schriftstellerin für ihren Roman „Menschenkind“ 1992 den Pulitzer Preis erhielt, hatten sich die Veranstalter der Lektionen immer wieder bemüht, die Schriftstellerin nach Berlin einzuladen. Als sie ein Jahr später als erste Afroamerikanerin mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, gestaltete sich das zunehmend schwieriger – und teurer wurde es auch. Nach sieben Jahren ist es jetzt soweit. Unter dem Titel „Trouble With Paradise“ soll Toni Morrison jetzt originellerweise über die Diskriminierung von Minderheiten – insbesondere am Beispiel von Hautfarbe und Geschlecht – am Ende dieses Jahrhunderts reflektieren.

Dann tritt sie ans Rednerpult. Die grauen Rastalocken zu einem Zopf geflochten, an ihren Ohren große doppelperlige Ohrringe, den Mund wie immer in einem dunklen dezenten Rot geschminkt. Toni Morrison lässt die Worte schmelzen, spricht sehr langsam und gedehnt. Dann referiert sie gekonnt am Thema vorbei erst einmal über ihr Buch „Paradise“. Über die Schwierigkeit, eine Sprache zu finden, die frei ist von rassistischen Äußerungen und dass ein Mensch nicht über äußerliche Merkmale definiert werden soll.

Dann folgt ein philosophischer Diskurs, dem sie die These zugrunde legt, der Paradies-Begriff sei überholt, durch übermäßigen Gebrauch trivialisiert und inhaltsleer. Ihre Rede bezeichnete sie als „Meditation“ und sich selbst als „Künstlerin“, konsequent verweigert sie sich dem Anspruch, in der Rolle der „Exotin“ und „Soziologin“ aufzutreten – oder den zornigen Neger zu machen. Als Schriftstellerin, erklärte Toni Morrison, möchte sie ausschließlich über Literatur befragt werden.

Am Ende begeisterter Jubel ihrer Fans, hauptsächlich junge Frauen, viele schwarz. Die etwa sechshundert Menschen, die sich auf den Sitzen und Stehplätzen zur Bühne geneigt haben, warten jetzt mit ihren Büchern am Signiertisch. Nachher zeigen sie sich draußen gegenseitig die Unterschrift, von der berühmten Schriftstellerhand gezeichnet. Einer Hand mit kurzen satten Fingern und langen lackierten Nägeln, einer davon abgebrochen. Einer Literaturnobelpreishand.

Viele Menschen, noch einmal. Am nächsten Abend ist das Delphi-Kino ausverkauft. Nach einer peinlichen Einführung durch Hellmuth Karasek, der sich weder in afroamerikanischer Geschichte, noch in dem aktuellen Buch von Toni Morrison auskennt, erklimmt die Schauspielerin Eva Matthes gemeinsam mit der Schriftstellerin die Bühne. Eva Matthes hatte bereits die deutsche Synchronfassung zu der Morrison-Verfilmung „Menschenkind“ gesprochen und gilt damit anscheinend als werkskundig. Zuerst einmal ist es allerdings langweilig: Matthes liest eine Stunde aus den ersten Seiten der deutschen Übersetzung, wobei sie die englischen Worte überbetont und zum Teil falsch ausspricht, bevor Toni Morrison auch nur den Mund aufmacht. Die Schriftstellerin nestelt derweil an ihrem Glitzergewand, dreht an ihrem Ring und blättert in ihrer Hardcover-Ausgabe.

Dann liest sie eine halbe Stunde lang witzig und gekonnt. Das Beste allerdings kam erst am Schluss, als Mattes und Morrison gleichzeitig lasen: eine Performance von Sprache, Literatur als Kunst. Das war Morrisons Idee. Danach signiert die Amerikanerin über eine Stunde lang sehr geduldig. Einige Zuhörer kommen mit ganzen Stapeln zerlesener Paperbacks, ein Leuchten in den Augen: Toni Morrison ist ihr Star. Aber die Unterschrift muss dann genügen. Persönliche Widmungen schreibt die Schriftstellerin grundsätzlich nicht. Maxi Sickert