Gruben graben gründlich geregelt

Die Novellierung des Baustellenkoordinierungsgesetzes soll Staus in der Innenstadt beheben. Die Informations- und Koordinationsstelle organisiert das Wechselspiel von Gruben und Grünphasen  ■   Von Lars Klaaßen

Baustellen als Touristenattraktion – das Ende dieser Ära ist in Berlin bereits absehbar. Doch als lästige Lärm- und Dreckerzeuger werden sie den Bewohnern des einstigen Spree-Athens im Kiez und direkt vor der eigenen Haustür noch eine ganze Weile erhalten bleiben. Die Stadt als Ganzes wird durch das rege Treiben vor wesentlich substanziellere Probleme gestellt: Ohne eine umfassende Koordination der vielfältigen Bautätigkeiten drohte Berlin der Verkehrsinfarkt. Das so genannte „Anti-Stau-Gesetz“, im September diesen Jahres in Kraft getreten, soll dies verhindern helfen (taz berichtete).

Michael Cramer, der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, hält das Gesetz für fraglich: Nicht wegen der Baustellen, sondern aufgrund der falschen Verkehrspolitik gebe es Staus. Tatsächlich ist in den letzten zehn Jahren neben den Bautätigkeiten auch das Verkehrsaufkommen rapide angestiegen. Das Ziel des Senats, in der Innenstadt ein Verhältnis von 20 Prozent Individualverkehr zu 80 Prozent öffentlichem Nahverkehr zu erreichen, ist deutlich fehlgeschlagen. Dennoch: In Berlin werden jährlich rund 35.000 „Baumaßnahmen“ durchgeführt, die Auswirkungen auf den Verkehr haben. Nicht jede dieser Maßnahmen entspricht einer Baustelle. Großprojekte wie der Bau des neuen Zentralbahnhofes im Spreebogen bestehen aus unzähligen Einzelmaßnahmen, also Fahrbahnverengungen, Straßensperrungen und Umleitungen, die im Zuge eines Bauabschnittes anfallen. Doch nicht jeder Kran, der die Fahrspur einer Straße verengt, bedroht den Verkehrsfluss der Stadt. Kritisch wird es erst, wenn das sogenannte „übergeordnete Straßennetz“ betroffen ist, also Verkehrsadern mit bezirksübergreifender Verbindungsfunktion und erhöhtem Verkehrsaufkommen. Im Zuge der Novellierung des Baustellenkoordinierungsgesetzes wurden die Kompetenzen der Informations- und Koordinierungsstelle der Senatsverwaltung für Verkehr (Inko) erheblich ausgeweitet.

Bislang waren die elf Mitarbeiter dieser Stelle nur für Maßnahmen zuständig, die sich über einen längeren Zeitraum als vier Wochen und über mehr als 50 Quadratmeter Straßenland erstreckten; diese Beschränkungen fallen nun weg. Statt der bisherigen 1.500 wird die Inko-Stelle voraussichtlich etwa 3.500 verschiedene Baumaßnahmen in ihrem Arbeitsbereich koordinieren. Auch technisch und organisatorisch wird sich einiges verändern: Neue Computersoftware wird den Verkehrslogistikern nicht nur die Arbeit erleichtern, sondern die ganze Stelle mit der neu eingerichteten Verkehrsmanagementzentrale (VMZ) vernetzen, der Inko angegliedert wird. „Unsere Aufgabe besteht unter anderem darin, die Abfolge verschiedener Bautätigkeiten zu koordinieren, damit der Verkehrsfluss so gering wie möglich beeinträchtigt wird“, erläutert Peter Rimmler, Leiter der Inko-Stelle. Einerseits soll die Häufung zu vieler Baustellen vermieden werden, um einen Verkehrskollaps zu verhindern. In anderen Fällen wird gerade die Bündelung verschiedener Arbeiten angestrebt, damit – etwa beim Verlegen von Kabeln oder Rohren – ein Straßenzug nicht mehrmals hintereinander aufgerissen werden muss. Jeder Bauherr, der für die Realisierung seines Projektes zeitweise Straßenland benötigt, muss dies zuvor bei den Genehmigungsstellen Straßenbaubehörde und Straßenverkehrsbehörde beantragen. Die Gebühren für eine bauliche Nutzung von Hauptverkehrsstraßen steigen um bis das Fünffache, bei Überschreitungen sogar um das Zehnfache. Welche Fläche für die Bauarbeiten zur Verfügung gestellt wird, ob die Arbeiten zeitlich begrenzt werden und wie die Baustelle abgesichert werden muss, entscheidet dann die Inko-Stelle. „Wir fungieren bei den Genehmigungsbehörden gewissermaßen als technische Berater“, so Rimmler. Dieser „TÜV“ erstellt etwa bei Straßenbauarbeiten, falls nötig, einen Sperrzeitenplan, der die Arbeiten beispielsweise nur außerhalb der Rush-hour, nachts oder in den Ferien genehmigt. Auf den Ablauf einzelner Baumaßnahmen werden die elf von der Inko-Stelle nunmehr stärker Einfluss nehmen können. Sollten verschiedene Bauarbeiten „an gleicher Stelle oder im räumlich verkehrlichen Wirkungszusammenhang“ geplant sein, kann von den Bauherren ein gemeinsamer Bauablaufplan samt Bauleitung verlangt werden. Otto-Normal-Verkehrsteilnehmer wiederum kann ab September ein Stück mehr Baustellen-Service nutzen: Bei Bautätigkeiten, die sich auf Straßenland erstrecken – und somit in der Regel Passanten, Rad- und Autofahrer beeinträchtigen – muss künftig ein Schild über Zeitraum und Umfang der Arbeiten informieren. Auch Name und Telefonnummer der so genannten Erlaubnisbehörde soll deutlich lesbar gekennzeichnet sein. Laut Rimmler wird den Berlinern in den nächsten Jahren noch reichlich Gelegenheit geboten, sich an Bauzäunen und Absperrungen entsprechend zu informieren: „Die Großbaustellen in der Innenstadt sind zwar in vier bis fünf Jahren fertig, aber im Ostteil der Stadt besteht ein hoher Renovierungsbedarf bei fast sämtlichen Brücken und bei den unterirdischen Versorgungsanlagen.“ Zehn Jahre werde es schon dauern, bis die Mängel behoben seien. Auch in den westlichen Bezirken besteht mittlerweile Nachholbedarf bei der Straßenpflege. Neben dem verstärkten Verkehrsaufkommen ist es auch die Erhöhung der zulässigen Achslasten bei Lkws und Bussen, die den Straßen zu schaffen macht. Nach der Bewältigung der Baustellenlogistik steht für Rimmler ein weiteres, langfristiges Ziel an: die allgemeine Verkehrsentlastung der Innenstadt – nicht zuletzt durch Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Doch solange die Verkehrspolitik in diesem Bereich nicht aktiver wird, heißt es für den Inko-Leiter erst einmal: „Wir können eine möglichst optimale Verkehrsführung gewährleisten, aber keine Staus verhindern.“