Selbsterfindung im Alkoholrausch

■ Und noch einmal die Frage nach der Identität: Falk Richter inszeniert die deutsche Erstaufführung von Oscar van Woensels Familien-Groteske Wer im Malersaal

Falk Richter hat es geschafft: fast 30, diverse hochgelobte Inszenierungen, ein sehr erfolgreiches eigenes Stück (Gott ist ein DJ, geadelt per Abdruck in Theater heute) und demnächst Hausregisseur am Zürcher Schauspielhaus unter dessen neuem Intendanten Christoph Marthaler. Aus dem Kampnagel-Alter ist der Hamburger Regieschul-Absolvent heraus – hier läuft als Wiederaufnahme noch seine choreografische Inszenierung Nothing Hurts, die er in der vergangenen Saison zusammen mit Anouk van Dijk erarbeitete. Und auch für sein Regiedebüt an der Kirchenallee ließ Richter jetzt seine guten Kontakte zu Holland spielen: Im Malersaal inszeniert er die deutsche Erstaufführung von Oscar van Woensels Stück Wer, das er zu diesem Zweck selbst übersetzt und auf hiesige Verhältnisse hin bearbeitet hat.

Es ist stets die große Frage seiner Generation, die Falk Richter umtreibt - und die stellt sich nun mal nach der Identität. Was ihn an Martin Crimps Angriffe auf Anne und Mark Ravenhills Baby, das er jüngst in Göttingen herausbrachte, interessierte, findet sich in Wer ganz explizit formuliert und gleichzeitig grotesk überspitzt. Drei Söhne und zwei Töchter kehren in ihr Elternhaus zurück; ihr Vater, einflussreicher Diktator eines Fernseh-Imperium, und ihre Mutter, eine Schauspielerin, liegen dort eingesargt, umgekommen bei einem Autounfall. Die Zeit bis zum Morgen der Beerdigung verbringen die Fünf exzessiv Alkohol konsumierend. Man kommt sich näher, man quält sich mit peinlichen Fragen, man beichtet, man lügt, es werden Kindheiten hin und her gewälzt, Biografien konstruiert, Identitäten erfunden. Die Probleme der Figuren sind in ihrer Ballung bewusst klischeehaft: Missbrauch, Drogensucht, Neurosen, Inzucht et cetera.

Wer ist ein Text, der nicht einsam am Schreibtisch entstanden ist, und das merkt man. Der hierzulande nahezu unbekannte Oscar van Woensel ist nämlich nicht nur Autor, sondern auch Schauspieler und Regisseur. Das Stück hat er für seine Gruppe Dood Paard („totes Pferd“) geschrieben, und dabei hat es einen intensiven Diskussions- und Probenprozess durchlaufen. Sein Duktus ist enorm lebendig, und die umgangssprachlich reduzierten, schnellen Dialoge atmen eine sehr charakteristische Poesie, die dabei aber nie bemüht künstlerisch wirkt. Die volle Qualität von Wer muss sich allerdings in der Aufführung zeigen.Ralf Poerschke

Premiere: Sa, 23. Oktober, 20 Uhr, Malersaal