Der Ohhh-Effekt

■ Drei Wochen lang zeigt das Museum Weserburg französische Videofilme

Alle Menschen haben das Zeug zum Künstler, sagte Herr B. Alle Fische auch, dachte sich's Herr X. Herr X ist im Besitz eines Aquariums und jeder Menge künstlerischen Willens. Also kippte er seinem schneeweißen Fisch ein paar Tropfen roter Farbe ins Wasser. Der zerstäubte die Farbe mit seiner Schwanzflosse. Es war eine sanfte Schwanzflosse. Sehr sanft. Deshalb verpfriemelten die fetzigen Pollock-Drippings sehr schnell zu Graubnerschen Wolkenbildungen. Die zweifelsohne zen-buddhistische Veranlagung dieses Fisches hat aber einen Vorteil. Er wird sich gewiss nicht wie Pollock mit dem Auto zu Tode rasen. An Farbvergiftung eingehen, ja, das vielleicht schon eher.

Herr X zeichnete die unfreiwillige künstlerische Betätigung seines Fisches auf Video auf. Nun ist es eines von 76 1-bis-60-Minuten-Videos, die der französische Staat (und etwa 65279 anhängige Institutionen, wie das so ist in solchen Fällen der kulturellen Interaktion) zum Zwecke der Völkerverständigung zusammengetragen haben. Einen Monat lang muss das Aufsichtspersonal der Weserburg nun diese Videos in zwei Videorekorder einlegen – auf Befehl der Besucher. Ein Eldorado für machiavellistisch veranlagte Persönlichkeiten. So hat man hier endlich mal die Chance, sein höchsteigenes Experimentalfilmfestival zu komponieren, stundenlang, fast wie im Sexvideoclub.

Auch (Daniela Scheidt vom Institut Francais behauptet: besonders) in Frankreich macht sich die Videokunst unter Künstlern und an den Hochschulen immer mehr breit. Doch zur hypermotorischen Videoclipästhetik hält man deutlich Distanz. Auf die Unendlichkeit der Bildbearbeitungsmöglichkeiten reagiert man mit mönchischer Askese.

Wir betrachten zwei Hände beim Waschen: Oh, wie seltsam dieser Seifenschaum blubbert. Ein anderer Film verformt Menschen zu Farbklöpsen und lässt sie zu Spieldosenmusik um die Kamera kreisen: Oh, wie klöpsig diese Menschen sind. Oder wir gucken ewiglang aus einem Autofenster auf Alleebäume. Das Bild ruckelt: Oh, wie seltsam diese Bäumchen hüpfen.

Oft ist die Essenz der Filme die bloße Differenz zum normalen Sehen, der sogenannte Oh-Effekt. Vor visuellem Overkill aber muss sich niemand schrecken. Französische Videokünstler scheinen eine mentale Nähe zum weißen Fisch von Künstler X. aufzuweisen. Heißen tun sie R. Cabot, C.T. Carlut, C. Chabat, E. Chaton, D. Courbot ... Weil aber selbst Museumsmann Thomas Deecke ihre Namen in den allerwenigsten Fällen kennt, bricht diese Liste hier ab.

Ein paar Filme sind Tanzfilme. Tänzer sind aber nicht artverwandte Lebewesen wie Susanne Linke oder Pina Bausch, sondern Wesen in Gummianzügen, Fischartiges also. Bald stellt sich das Gefühl ein, dass ein Marktplatz ein Wasserbecken ist und das Leben ein langer ruhiger Fluss, fischflossig eben. bk

Unangemeldete Privatvorführungen im Parterre der Weserburg bis 11. November