So ein Erlebnis prägt für das ganze Leben“

■ Die Diplompädagogin Doris Rümelin über Folgen und mögliche Verarbeitung einer Vergewaltigung

Die 33-jährige Diplompädagogin Doris Rümelin ist Mitarbeiterin bei „Lara“, einem in Kreuzberg gelegenen Krisen- und Beratungszentrum für vergewaltigte Frauen.

taz: Der Bauhelfer Dieter H. hat sein Opfer 47 Tage lang in einem Kellerverlies vergewaltigt und gedemütigt. Kennen Sie aus Ihrer Beratungspraxis im Krisenzentrum für vergewaltige Frauen ähnliche Fälle?

Doris Rümelin: Der Fall ist besonders grausam. Es kommt aber durchaus vor, dass Frauen mehrere Tage festgehalten werden. Dabei handelt es sich aber meistens um Täter aus dem persönlichen Umfeld des Opfers. Viele Frauen sind über Jahre der Gewalt ausgesetzt.

Was bedeutet es für ein Opfer, wenn sich sämtliche Medien auf den Fall stürzen?

Vielen Frauen ist es sehr unangenehm, dass die Öffentlichkeit erfährt, was ihnen passiert ist. Sie reden am liebsten gar nicht darüber. Eine Vergewaltigungstat geht ins Innerste. Sie berührt die Integrität der Person. Gerade sexuelle Gewalt ist sehr mit Scham beladen.

Was geht in den Frauen bei so einer Tat vor?

Viele Frauen wissen zum Zeitpunkt der Tat überhaupt nicht, ob sie mit dem Leben davonkommen. Jede Frau versucht mit ihren eigenen Mitteln die Situation zu überstehen. Es kann sein, dass sie sich mit Händen und Füssen wehrt oder ganz erstarrt ist und alles mit sich geschehen lässt. Häufig werden Teile der Tat von der Psyche völlig abgespalten, weil die Erinnerung sonst nicht zu ertragen wäre.

Was passiert später?

Erst tritt eine Schockphase ein. Manche Frauen müssen ganz viel weinen, andere fühlen sich vollkommen apathisch. Einige haben Schlafstörungen. Andere müssen sich erbrechen oder haben Waschzwänge. Danach kommt meistens eine Phase der Verdrängung.

Was sind die Langzeitfolgen?

Meist sind Ängste und psychosomatische Krankheiten wie zum Beispiel Haut- und Magenkrankheiten die Folge. Oft wirkt sich die Tat auch negativ auf die Beziehung zum Partner und die Sexualität aus.

Später kommt eine Phase der Scheinverarbeitung. Die Einstellung der Frau zu ihrer Umgebung verändert sich. Sie entwickelt spezifische Vermeidungsstrategien. Und die Symtome werden weniger. Ein Beispiel: Die Frau geht abends nicht mehr weg. Sie ist der festen Überzeugung, dass es zu Hause so schön ist. Der wahre Grund ist aber, dass sie Angst hat. Man sagt, dass eine tatsächliche Verarbeitung frühestens vier bis fünf Jahre nach der Tat erfolgt.

Was heißt verarbeiten?

Das ist ein Prozess, in dem die Tat in das Leben integriert werden muss. Aber danach ist es möglich, dass die Frau nicht immer daran denken muss, sondern mit Freude in die Zukunft blicken kann. So ein Erlebnis prägt dennoch für das ganze Leben.

Interview: Plutonia Plarre