Mauern gibt es immer“

■ Er hat sie aufgebaut, dann abgerissen: Hagen Koch lebt von der Mauer

taz: Herr Koch, für den Film „Sonnenallee“ waren Sie „Mauerberater“. Was ist das?

Koch: Überall, wo jetzt zum Thema Mauer irgendetwas abgefragt wird, kommen die Leute zu mir, denn ich habe ein Archiv über die Geschichte der Berliner Mauer mit dem Blick aus dem Osten. Solange es die Mauer gab, standen die Archive unter allerhöchster Geheimhaltung.

Sie sind derzeit völlig ausgebucht, dauernd Interviews.

Wenn ich das vorher gewusst hätte. Es gibt auch „ordentliche Arbeit“. Nein, es ist verdammt wichtig. Es gibt viel Interesse, nicht nur, weil der Mauerfall jetzt zehn Jahre her ist.

Ihnen gehört das Mauer-Archiv, Sie arbeiten nur zu diesem Thema. Keine Langeweile?

Nein, auf keinen Fall. Die Geschichte der Berliner Mauer ist ja nicht nur eine von den Fluchten und den Toten an dieser Grenze. Keiner fragt nach Hintergründen, Ursachen, Zusammenhängen. Das ist das Faszinierende, diesen Blick auf die Mauer, wie man sie im Westen gesehen hat, dem Ost-Blick hinzuzufügen.

Wie unterscheiden sich Ost- und West-Blick voneinander?

Die Leute im Westen hatten viel Angst, viele Sorgen. Wegen des Zwangsumtausches kam eine finanzielle Belastung dazu, wenn sie über die Grenze wollten. Sie konnten aber – trotz aller Hindernisse. DDR-Bürger konnten das nicht. Wer sich auch nur der Grenze näherte, um mal zu gucken, wurde ja schon verdächtigt, eine Republikflucht vorzubereiten. Im Osten hat es mit dem Thema eine Auseinandersetzung wie im Westen nicht gegeben.

Ex-Genossen feinden Sie an.

Das gibt es jetzt. Man nutzt das gesamte Repertoire: Intrigen, Lügen, Falschmeldungen.

Lieben Sie die Mauer?

Ich liebe sie auf keinen Fall. Es ist eine Hassliebe geworden. Ich lasse die Dokumente sprechen.

Was machen Sie,wenn die 10-Jahre-Mauerfall-Feierei zu En-de ist? Weiter davon leben?

Ich muss es. Alles, was länger als vier Stunden dauert, muss nach dem Mai 2000 geplant werden. Bis dahin habe ich noch einen vollen Terminkalender.

Viele wollen die Mauer wiederhaben: Sie auch?

Nein, um Gottes willen! Gerade deshalb mache ich es ja. Um den Menschen zu zeigen: Was wollen sie denn wiederhaben? Wollen sie die Todesschüsse wiederhaben? Sie wissen gar nicht, was sie wiederhaben wollen.

Ästhetisch gesehen: War die Mauer ein schönes Bauwerk?

Na ja, da muss man sehen, zu welcher Zeit. Mitte der Achtzigerjahre hat Honecker die Anweisung gegeben, dass die Mauer zwischen Potsdamer Platz und dem Brandenburger Tor eine ästhetische Gestaltung erhalten muss. Er hat sogar festgelegt, dass Blumenkübel davor hinzustellen sind. Denn wo Blumen sind, sieht es nicht böse aus.

Wann wird es die Mauer in den Köpfen nicht mehr geben?

Das ist ein langer Prozess. Die Menschen sind so gebaut. Mauern in den Köpfen wird es immer geben. Grenzen sind gut für eine Verwaltung, aber nicht, um sie zwischen Menschen aufzubauen.

Interview: Philipp Gessler