Aber wir waren noch wunderbarer“

■ 4:2 bei Arsenal: FC Barcelona kontert sich in die nächste Runde

Wembley (taz) – Ein Nebensatz trennte Sieger und Verlierer. Louis van Gaal, Trainer des FC Barcelona, sagte: „Es war ein wunderbares Spiel.“ Arsenal-Coach Arsene Wenger sagte: „Es war ein wunderbares Spiel – wenn du nicht Trainer von Arsenal warst.“ Total Football heißt in der Fachsprache, was die niederländische Nationalelf 1974 kreierte und beide Teams am Dienstagabend im Wembleystadion streckenweise nachahmten: fliegende Verteidiger im Angriff, majestätische Stürmer in der Abwehr; eben noch rannte Arsenal furios auf Barcas Tor, da war schon wieder van Gaals Team im Angriff. Manchmal in Sekundenschnelle sprang die Aufregung von einem Strafraum zum anderen. Und doch ließ der Abend eine überraschend ernüchternde Erkenntnis zurück: Nach diesem wunderbaren Spiel erscheinen beide Mannschaften nicht mehr so wunderschön wie zuvor geglaubt. Absurd?

Nahezu flächendeckend hat sich im europäischen Fußball die Ansicht durchgesetzt, dass Barcelona das Team dieser Saison sei und Arsenal gleich nach Lazio Rom einer der ärgsten Herausforderer. Zumindest Wenger ist jetzt anderer Meinung: „Ich höre immer: Barca, bestes Team in Europa. Aber dann musst du auch verteidigen können. Ihre Abwehr war mir suspekt, ich hatte das Gefühl, wir könnten jederzeit ein Tor schießen.“

Über die eigenen Verteidigung brauchte er nicht reden. Jeder hatte gesehen, welche Probleme die Defensivabteilung um Tony Adams – in England als die berühmteste Vierer-Combo seit den Beatles gepriesen – gegen die körperlich und gedanklich schnelleren Patrick Kluivert und den besonders wunderbaren Luis Figo hatte.

In Wembley wurde Barca die Arbeit erleichtert, weil sie das Spiel praktisch mit einer 2:0-Führung begannen. Innerhalb der 16. Minute erzielten sie zwei Tore; erst traf Rivaldo per Elfmeter (der keiner war), Luis Enrique schloss Sekunden später seinen Sprint durch die erschreckend entblößte Arsenal-Defensive erfolgreich ab. Die Londoner wehrten sich mit Abenteuerlust. Ihr Angreifer Dennis Bergkamp, der nach dem Spiel sagte, er sei jetzt 30 und werde „wohl bei der Europameisterschaft 2000 zum letzten Mal für die holländische Nationalelf spielen“, trat auf wie einer, der noch Jahre ins Auswahlteam gehört: die personifizierte Inspiration, nicht nur durch sein Tor zum 1:2. Immer hatte man das Gefühl, Arsenal könnte das Resultat noch umbiegen. Doch Barcelona offenbarte, wie ansehnlich auch gefühlskalter Fußball sein kann durch zahllose unbarmherzig-gradlinige Konter. „Arsenal spielte mit Risiko. Wir nutzten es aus“, sagte van Gaal.

Barcelona qualifizierte sich mit dem Sieg, dem ersten in England seit 40 Jahren, für die zweite Runde. Und Arsenal – wieder das Aus in der ersten Runde? „Nein, stellt die Frage noch nicht“, meinte Wegner, „lasst uns erst die Vorrunde zu Ende spielen.“ Mit einem Sieg über Florenz am kommenden Mittwoch würde Arsenal als Gruppenzweiter Barcelona folgen. „Arsenal hat eine wunderbare Mannschaft“, sagte Louis van Gaal höflich nach dem 4:2 – diesmal jedoch mit einem wunderbaren Nebensatz: „Aber wir waren wunderbarer.“ Ronald Reng