Verheimlichte Vorkommnisse

betr.: „'Underperformance der Aufsicht‘ statt Restrisiko“, taz vom 15. 10.99

Die Meinungsmacher und -manipulierer im Solde der deutschen Atomkonzernherren können nach der Kritikalitäts-Katastrophe in Japan Schaum schlagen, so viel sie wollen. Sie werden uns die Angst davor nicht nehmen können, dass heute „unter der Decke“ längst Dinge passieren oder schon passiert sind, mit denen diese strahlende Branche – wenn überhaupt – erst nach zehn oder 20 Jahren erwischt wird. Da war es fast die Ausnahme, dass RWE den Fast-Super-GAU von Biblis 1987 vor der Öffentlichkeit „nur“ ein Jahr verheimlichen konnte. Die atomaren RWE-Konzernfirmen waren da weit gerissener: Transnuklear Hanau konnte fast zehn Jahre mit hohen Zuwendungen in fast allen Atomkraftwerken mauscheln. Nukem Hanau (bis zur „Auswanderung“ ins benachbarte, aber schon bayerische Alzenau) hat seit den 70er-Jahren eine ganze Latte von bisher geheimgehaltenen Vorgängen angesammelt, die erst dieser Tage ein Gutachten des Öko-Instituts ans Licht brachte. Ob da auch drinsteht, dass Nukem-Hanau noch viele Jahre nach der vom Staat erzwungenen Stilllegung 1988 nicht immer sehr zuverlässig funktionierende Kritikalitäts-Warnanlagen beibehalten musste, wäre einer Feststellung wert. Ob die Tatsache, dass man dem RWE-Atomkonzern dennoch nie die im Atomgesetz geforderte „Zuverlässigkeit“ absprach, einen Grund hat? Etwa den, dass die Bundesregierung seit den 60er-Jahren dem RWE-Konzern die tatkräftigste Hilfe und Mitwirkung beim Marsch in den Atomstaat zu verdanken hat. Der einschlägige, eher einem Notenwechsel unter „Regierenden“ nahekommende Schriftwechsel aus 1966 zwischen Bonn und Essen wird zwar nicht bestritten, sei aber nach Auskunft der Konzernspitze in den Konzern-Archiven noch nicht gefunden worden. Dieser „Notenwechsel“ würde verständlich machen, warum RWE und dann alle Atomkonzerne in beispielloser Weise vom Staat verhätschelt wurden und noch immer werden.

Eine Auflistung aller so lange wie möglich verheimlichten Vorkommnisse würde den Rahmen eines Leserbriefs sprengen. Nur einen Fall darf man nicht vergessen: Die kreuz und quer durch Europa führenden, weit über zulässige Grenzwerte verstrahlten Atomtransporte, die ein Umweltschützer aus Paris 1998 aufdeckte und an die Medien gab, war den Insidern nach Zeugnis eines leitenden Beamten vom Bundesamt für Strahlenschutz seit Mitte der 70er-Jahre bekannt, also seit fast 25 Jahren. [...]

Aber die „strahlenden Meinungsmanipulierer“, die angeblich besser Wetter machen wollen, mauscheln schon wieder: So ein Kritikalitäts-„Störfall“ mit sich über 20 Stunden unkontrolliert erhaltenden Kettenreaktionen wie in Japan könne angeblich in Deutschland nicht vorkommen. Frage: Auch nicht mit den 70.000 Litern Hoch-Aktiv-Brühe, die in Karlsruhe seit Jahren ständig gerührt wird, seitdem man in dem vieltausendköpfigen Atomforschungszentrum nicht durch Nachdenken, sondern durch Zufall (bei einer Tanktreparatur) mit der Nase drauf gestoßen wurde, dass sich ohne Umrühren am Boden Schlamm absetzt, der kritische Massen bildet, also zu unkontrollierten Kettenreaktionen wie in Japan führen kann?

Walter Grossmann, Maintal