Abschreiben statt selbst recherchieren

Seit 50 Jahren ist der Bund der Steuerzahler den Verschwendern von Steuergeldern auf der Spur – mit minimalem Aufwand. Die Zusammenarbeit mit einem Versicherungskonzern klappt umso besser  ■   Von Michaela Kirschner

Berlin (taz) – Es ist ein kleines, spartanisch anmutendes Bild, das der Bund der Steuerzahler in seiner aktuellen Monatszeitschrift abgedruckt hat. Bundesfinanzminister Eichel steht bieder lächelnd in seinem Bürozimmer, flankiert von drei Vorstandsmitgliedern des Steuerzahlerbundes (BdSt). Man sieht sofort, dass diese Männer wesensverwandt sind: Ihr Anliegen ist das Sparen. Warum sonst sollten die Herren vom BdSt, wie es die Bildunterschrift verrät, dem Minister zwei Stunden lang „die Sorgen der Steuerzahler“ vorgetragen haben?

Dass der deutsche Steuerzahler sich sorgt, ist auch seiner überparteilichen Interessenvertretung zu verdanken. Die bringt jedes Jahr ihr so genanntes „Schwarzbuch“ heraus, in dem sie dem Bürger vor Augen hält, was Kommunen, Ministerien und Länder alles mit seinen Abgaben treiben. 118 „Schildbürgerstreiche“ listet das aktuelle Schwarzbuch auf. Von der überteuerten Straßensanierung bis zum Hotline-Gespräch aus der Beamtenstube ist alles dabei, was das steuerzahlende Herz empört.

Der Bund der Steuerzahler hat derzeit knapp 425.000 Mitglieder und wirbt fleißig neue an – auf befremdliche Art und Weise. Rolf Müller, Geschäftsführer eines kleinen Verlags, bekam 1993 Besuch von einer Mitarbeiterin des BdSt. Zunächst warb sie Müller für die heeren Ziele der Steuersparer, dann hielt sie ihm ein zweites Papier unter die Nase: „Versicherung gefällig?“ „Die Dame entpuppte sich als Trojanisches Pferd“, scherzt Müller, der aus dem BdSt sofort wieder austrat.

Kerstin Merkin von der Hamburg-Mannheimer in Berlin weiß es besser. Die Dame, sagt sie frei heraus, war eine so genannte „Vorwerberin“. Frauen (Merkin: „Meistens sind es Frauen“), die eine Laufbahn als Vorwerberin einschlagen, werden gleich beim Berufseinstieg reich beschenkt. Der BdSt beglückt sie mit einer kostenlosen Mitgliedschaft, die Hamburg-Mannheimer finanziert ihnen eine einwöchige Schulung. Dort paukt frau im Schnelldurchlauf, wie sie Mitglieder wirbt und denen dann postwendend das Geld aus der Tasche zieht. Pauschalen für jede Terminvereinbarung, Prämien für jede Unterschrift – die Zusammenarbeit zwischen Steuerzahlerbund und Versicherung gestaltet sich äußerst fruchtbar.

Dass der Bund der Steuerzahler geschäftstüchtig ist, wissen nur wenige, dafür gilt er als seriös. Die Recherche der Schwarzbuchfälle, die der Verein größtenteils seinen 15 Landesverbänden überlässt, erfolgt laut Dieter Mäule vom baden-württembergischen Vorstand nach streng journalistischen Grundsätzen: „Wir gehen notfalls auch vor Ort.“

„Bei mir waren sie nicht“, sagt Carola Rummel vom Ministerium für Ländlichen Raum in Stuttgart. Sie ist verantwortlich für die vier Ernährungszentren, die das Land Baden-Württemberg eingerichtet hat. In seinem aktuellen Schwarzbuch hat der BdSt den Zentren eine klare Absage erteilt: 1,7 Millionen Mark würden sie jährlich kosten, dabei seien sie angesichts von 1.100 vergleichbareren Einrichtungen bundesweit „völlig überflüssig“.

Carol Rummel wundert sich. Die Zahl sei schlicht falsch, vermutlich habe man willkürlich irgendwelche Personalkosten hochgerechnet. Sie als Hauptverantwortliche hätte auf jeden Fall befragt werden müssen, findet sie. „Wahrscheinlich haben die einfach einen internen Bericht des Rechnungshofs aufgegriffen.“

Tatsächlich entpuppen sich die Rechnungshofberichte als die Hauptnachschlagewerke des Steuerzahlerbundes. „Wir kommen an die schon im Vorfeld ran“, freut sich Andreas Schmidt vom Präsidium des BdSt in Wiesbaden. Im Bundestag säßen in zahlreichen Ausschüssen wachsame Informanten, die „präzise und bereitwillig“ Auskunft erteilen. Verschwendungsfälle, die der Rechnungshof erst im Nachhinein veröffentlicht, könne der BdSt so schon bemängeln, „bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist“.

Der Bund der Steuerzahler, der so gerne als Anwalt des geprellten Bürgers auftritt, nimmt es mit der Vorortrecherche scheinbar doch nicht so genau. Am häufigsten pflegt er den Schriftverkehr. Liegt ein Verdacht auf Verschwendung vor, wird die betreffende Stelle angeschrieben. „Wenn keine Antwort erfolgt, gehen wir davon aus, dass wir Recht hatten“, sagt Andreas Schmidt.

Eine Materialsammlung der Landesverbände bildet laut Andreas Schmidt die Grundlage für das jährliche Schwarzbuch. Nur zehn Prozent darin sind Bundesfälle, die von den neun hauptamtlichen Mitarbeitern des Präsidiums bearbeitet werden. Regional ist der Verein weniger gut bestückt – in Thüringen beispielsweise recherchieren in Sachen Verschwendung nur ein Diplom-Ingenieur und eine Referentin für Haushaltsfragen. In Berlin muss ein einziger BWL-Student die Aufgabe bewältigen.

Pünktlich zu seinem 50-jährigen Jubiläum haben jetzt zwölf japanische Koi-Karpfen das Image des Steuerzahlerbundes besudelt. Ein Mann (Mäule: „Der Informant schien absolut vertrauenswürdig“) entdeckte die Zierfische in einem Teich der Plochinger Landesgartenschau. Der BdSt nahm den Fall ins Schwarzbuch auf, wo er die Stadt Plochingen, die die Landesgartenschau mit 6 Millionen Mark bezuschusst hatte, der Prunksucht bezichtigte. Dann die erdrückende Beweislast: Ein Fischereiverein war der Karpfen edler Spender. Kommentar Mäule: „Dieser Gedanke war nicht naheliegend.“