Nazi-Helfer Papon auf der Flucht

Der Kollaborateur Nazi-Deutschlands, Maurice Papon, sucht einen Tag vor Beginn des Widerspruchsverfahrens das Weite. Ihm drohen zehn Jahre Haft  ■   Aus Paris Dorothea Hahn

Zwei Franzosen wurden wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verurteilt. Beide gehören sie der Generation des Vichy-Regimes an, das zwischen 1940 und 1944 mit Hitler-Deutschland kollaborierte. Der eine – Ex-Milizionär Paul Touvier – war ein „kleiner Mann“. Er starb im Gefängnis. Der andere – Ex-Generalsekretär der Präfektur der Gironde, Maurice Papon, – war ein Spitzenfunktionär, der es in der Nachkriegszeit bis zum Polizeipräfekten von Paris und französischen Haushaltsminister brachte.

Seit gestern befindet sich Papon auf der Flucht. Der „Ehre“ zuliebe, wie andere „große Männer der französischen Geschichte“, wie er es in einem gestern veröffentlichten Brief an die Bordelaiser Zeitung Sud-Ouest begründet. Der 89-jährige Ehrenmann Papon wurde im vergangenen Jahr wegen Beihilfe zur Deportation von rund 1.500 Juden aus Bordeaux und Umgebung zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Als Generalsekretär der Präfektur soll er die Abholung der Opfer, ihre Internierung im Raum Bordeaux, die Eisenbahnwaggons und ihre Deportation organisiert haben.

Wegen vermeintlicher Verfahrensfehler rief Papon ein Kassationsgericht an. Laut Plan sollte es heute in Bordeaux zusammentreten. Papon befand sich seit seiner Verurteilung im Frühjahr vergangenen Jahres auf freiem Fuß. Am Vorabend des Kassationsverfahrens jedoch, das war gestern, musste er sich an einer Gefängnistüre einfinden. So sieht es das französische Gesetz vor.

Der citoyen Papon, der seit 1981, als erstmals eine Klage wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gegen den damaligen Haushaltsminister amtlich wurde, erfolgreich auf Verfahrenslücken und auf Verzögerung setzte, hatte auch dieses Mal gehofft, dass er von der Inhaftierung während des Kassationsverfahrens befreit werden würde. In den vergangenen 18 Jahren hatte Papon noch stets Ausnahmeregelungen erwirken können. Unter anderem dank seiner hoch platzierten einflussreichen Freunde in Paris.

Dieses Mal jedoch klappte der Coup erstmals nicht. Als das fest stand, tauchte Papon in der vergangenen Woche ab. Seither sorgten seine Anwälte für eine wild wuchernde Gerüchteküche. Gestern begründete Papon schließlich schriftlich, dass er eher ins Exil als ins Gefängnis gehen werde. Unter anderem erwähnte er nicht nur den Begriff der „Ehre“, sondern schrieb auch davon, dass ein Mann wie er, der „damals“ Widerstand geleistet habe, heute nicht ins Gefängnis gehe.

Michel Slitinski, jener Bordelaiser und Überlebende einer Familie von Deportierten, der das Verfahren gegen Papon Anfang der 80er-Jahre in Gang gebracht hat, sagte gestern: „Papon war Instrument einer faschistischen Macht. Jetzt übt er Widerstand gegen einen demokratischen Staat.“ Zusätzlich fragte Slitinski, warum Papon nicht 1942, „der Ehre zuliebe“, wie andere auch in die Résistance oder ins Exil gegangen sei.

Die französische Justizministerin erklärte, dass ein nationaler und internationaler Haftbefehl gegen Papon ausgestellt werde, sollte er sich nicht bis gestern am Gefängnis einfinden. Was sie nicht erklärte, war, wieso Papon nicht besser überwacht wurde. Und ob es tatsächlich möglich ist, dass Papon sich dieses Mal ganz allein und ohne fremde Hilfe in Sicherheit gebracht hat.

Die Anwälte Papons hingegen taten unbeirrt. Sie ließen wissen, dass ihr Mandant vor dem Europäischen Gerichtshof klagen wolle, und sie außerdem ein Gnadengesuch beim französischen Staatspräsidenten erwögen.