: Internet kills the Stadtmagazin
Demnächst auch in Japan, Island und Kuba: Klaas Glenewinkel will mit dem Internet regionale Kultur fördern. Sein Projekt kulturserver.de soll eine Alternative zur Eventkultur sein. Die nichtkommerziellen Webseiten haben in Berlin jedoch schlechte Karten ■ Von Axel Schock
Klaas Glenewinkel ist optimistisch: „Eines Tages wird kulturserver.de eine wichtige Dimension in der Kulturlandschaft darstellen.“ Glenewinkel, geboren 1970, gehört zu jener Generation, für die der Umgang mit dem Computer und vor allem mit dem Internet zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Das World Wide Web ist für ihn ein System, das Menschen auf perfekte Art und Weise miteinander verbindet und Kommunikation ermöglicht. „Ist doch einfach großartig, dass so eine einfache 3.000-Mark-Kiste im Grunde schon alles ist, was man braucht.“ So eine 3.000-Mark-Kiste hat Klaas Glenewinkel, und damit möchte er jetzt in Berlin „Kulturschaffende an Märkte heranführen“ und zugleich die regionale Kultur fördern.
Eine Biographie, die Ulrich Beck gefallen würden: Mit 21 ließ Glenewinkel in Deutschland alles stehen und liegen, pinselte in den USA einige Monate Häuser an, um sich ein Ticket für den Weiterflug nach Tokio zu verdienen. „Ich hatte ein Land gesucht, mit einer modernen Kultur und doch komplett anders als die mir bekannte Welt.“ Japan, eben. Fünf Jahre hielt Glenewinkel es dort aus, gründete eine Zeitschrift, veranstaltete Ausstellungen, organisierte Konzerte von US-Bands, eröffnete das landesweit erste Internetcafé und produzierte eine CD seiner japanischen Ehefrau, eine ausgebildete Geisha und Punksängerin. Ein hyperaktives Allround-Talent? „Solche Sachen ergeben sich eben einfach. Man lernt das, indem man es tut.“ Es ergab sich, dass er die Macher der Firma Ponton European Media Art Lab kennenlernte, die ihn nach Hannover holten.
Ponton ist hervorgegangen aus intermedialen Kunstprojekten wie der „Piazza Virtuale“ auf der documenta 9. Für den Spiegel kreierten sie das Online-Archiv und seinen Internetauftritt, für Scandinavian Seaways den Internet-Buchungservice, und im Auftrag des niedersächsischen Landesministeriums wurde 1997 ein so genanntes Internet-Portal mit Such- und Leitsystem entwickelt. Künstler, Kulturschaffende und kulturelle Einrichtungen sollen sich per Homepage darstellen, im Terminkalender ihre Veranstaltungshinweise veröffentlichen, ihre Produkte anbieten können und falls nötig sogar eine kostenlose E-Mail-Anschrift bekommen. Auf der anderen Seite sollen interessierte Menschen schnell und mit wenigen Tastenklicks gewünschte Veranstaltungen oder Künstler finden: ein interaktives Stadtmagazin.
Das Pilotprojekt ist ein Erfolg. Über 1.000 Homepages finden sich dort – von der örtlichen Blaskapelle über die HipHop-Band bis zur Kunstgalerie. Etwa 25.000 Besucher werden monatlich auf den Niedersachsen-Seiten registriert. Inzwischen haben sich auch Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt beteiligt. 126.000 Mark lassen sich die drei Länder pro Jahr das Angebot jeweils kosten.
In Berlin allerdings hat kulturserver.de derzeit noch schlechte Karten, was die Finanzierung von Senatsseite aus betrifft. Denn da verweist man auf „berlin.de“ und ist's damit zufrieden. Für Glenewinkel, der vor einigen Monaten in die Stadt gekommen ist, um den Berliner Server aufzubauen, ist das die reine Ignoranz. Denn bei berlin.de werde doch eh nur das promotet, was jeder schon kenne – die kulturellen Leuchttürme dieser Stadt eben. „Aber eine Kulturlandschaft ist doch viel viel mehr“, ereifert er sich und preist sein Projekt als „Alternative zur Hype- und Eventkultur“: Kultur entdecken, die noch unentdeckt ist. „Soziokulturellen Unterbau einer Kulturlandschaft“ nennt er das.
Kulturserver.de ist so richtig basisdemokratisch. Jeder der will, der darf auch und noch dazu kostenlos: Für ganz und gar Unkundige gibt es eine einfache Bastel-Anleitung zum Erstellen der eigenen Homepage. Sogar eine Art Offenen Kanal im Internet für live gesendete Radio- oder Videosendungen gibt es. Eine Zensur findet nicht statt. Die Redakteure, sind nicht dazu da, auszuwählen, sondern lediglich zu „stimulieren und die Sache in Bewegung zu halten.“ Klingt überzeugend.
Doch noch ist relativ wenig los auf den Berliner Seiten des Kulturservers, obwohl ein Stamm von acht ehrenamtlichen Mitarbeitern Glenewinkel tatkräftig unterstützen. Wer ihn in seinem Arbeitszimmer besucht, sieht auf den ersten Blick: Hier arbeitet kein Neuer-Medien-Yuppie im postmodernen Designerrausch und 5-Jahres-Karriereplan, sondern jemand, der es gewohnt ist, mal locker aus der hohlen Hand ein Projekt aus dem Boden zu stampfen. In Tokio oder in Berlin. Im winzigen, improvisierten Büro in kleinen Hinterhauswohnung im Prenzlauer Berg, Klo auf der Etage, herrscht kreatives Chaos. Rund 100 Homepages hat er von hier aus in den kulturserver gelockt. Das „Haus der Kulturen der Welt“ ist dabei und auch die „Klezmerschicksen“.
Eine wirkliche Chance, Relevanz und sinnvollen Nutzen wird das Unternehmen in Berlin erst haben, wenn sich die Zahl der Homepages deutlich vergrößert. „Wir haben eine PR-Problem“, gibt Glenewinkel zu. Dabei ist er tagaus, tagein auf Achse. Klappert Berliner Institutionen ab, um für das Unternehmen zu werfen, jettet kurz nach Kuba, wohin kulturserver.de demnächst expandieren wird (bzw. nach Japan, Island oder ins Baltikum, wo man ebenfalls Interesse zeigt). Oder ins Kulturamt Mitte. Dort wird am 26. Oktober eine eigne Unterabteilung „Kulturserver Berlin-Mitte“ ans Netz gehen. Das Amt zahlt eine ABM-Kraft und stellt ein Büro zur Verfügung. Dort können sich künftig Kulturschaffende des Bezirks bei ihrer Internet-Präsentation helfen lassen, Fotos einscannen oder MP 3-Soundfiles produzieren.
Geld aber kommt keines für das Projekt. Die rund 80.000 Mark, die der Ponton pro Jahr für den Kulturserver Berlin (wie auch jenen für das Kosovo) entstehen, übernimmt die Firma derzeit noch selbst. Mittelfristig, das heißt in spätestens vier Jahren, sollen sich alle regionalen Kulturservers ohnehin selbst finanzieren: durch Werbung, aber auch durch ein geplantes Ticketservice und E-Commerce auf dem Homepage-eigenen Marktplatz. Dort sollen Kulturschaffende ihre CD, ihre Arbeiten zum Kauf anbieten können – und kulturserver.de bekommt einen minimalen prozentualen Anteil am Umsatz. Bis dahin soll das Projekt auch bereits in eine Stiftung übergeben werden. Denn, sagt Glenewinkel, „Kulturserver.de ist per se unkommerziell und demokratisch.“ Irgendwie überzeugend.
Kulturserver.de, Tel. 44 73 54 25, www.kulturserver. de
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