Press-Schlag
: Honig ums Maul

■ WM-Bewerbung: Fifa kontert Charme-Attacke mit wohlfeilem Lobgehudel

Da war er wieder, der kaiserliche Allmachtswahn. Wenn alle Luftschlösser, sprich: die versprochenen neuen Stadien, gebaut worden seien, dann, so tönte Franz Beckenbauer, gäbe es „kein Land auf der Welt, dass mit uns konkurrieren kann“. Mit einer ähnlichen Aussage hatte er schon vor rund zehn Jahren den zügigen Absturz des deutschen Fußballs eingeläutet. „Wir sind über Jahre nicht mehr zu besiegen“, verkündete er damals nach dem WM-Gewinn 1990 in seiner Eigenschaft als scheidender Teamchef und fügte als Trost für andere fußballernde Nationen hinzu: „Es tut mir leid für den Rest der Welt, aber es ist so.“ Wie die Geschichte zeigen sollte, war es nicht so, und später wollte er seine Bemerkung auch nur als Spaß verstanden wissen.

Kein Spaß, sondern harte Arbeit ist für Beckenbauer die Bewerbung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) für die Ausrichtung der Weltmeisterschaft 2006. Es bedarf schon des Einsatzes seines ganzen fernseh- und werbegestählten Charmes, um die Tölpeleien der professionellen Fettnäpfchentreter im DFB auszugleichen. Kurz vor dem Besuch der Inspektionsgruppe des Weltverbandes Fifa in Deutschland war es DFB-Präsident Egidius Braun, der sich bei der EM-Vergabe 2004 an Portugal unnötig weit aus dem Fenster lehnte und die abgeschmetterten Spanier in Rage brachte. „Es wäre besser, einiges wäre nicht gesagt worden“, grummelte Beckenbauer und kündigte eilig einen Besuch in Spanien an, um die Misshelligkeiten aus der Welt zu schaffen.

Zuvor hatte er jedoch die Fifa am Hals, deren Delegierten er und die Vertreter der Städte, die sich für die Austragung von WM-Spielen bewerben, diese Woche das Blaue vom Himmel herunterschwadronierten. Insgesamt drei Milliarden Mark, so berechnete staunend der US-Amerikaner Alan Rothenberg, wollten die Deutschen in Stadien und Infrastruktur investieren. Der Organisator der WM 1994 in den USA entschied sich, beeindruckt zu sein statt misstrauisch. Selbst den Auftritt des Berliner Bürgerschrecks Eberhard Diepgen, der dreist mit einem Olympiastadion protzte, dessen Realisierung und Finanzierung in sehr weit entfernten Fixsternen steht, schluckte Rothenberg widerstandslos und sprach von einer „überragenden Bewerbung“.

„Es wird nicht leicht, uns aus dem Wettbewerb zu kegeln“, frohlockte Beckenbauer, „vom Bundeskanzler bis zum kleinsten Fan stehen alle hinter unserer Bewerbung.“ Warum auch nicht, wenn man der Meinung ist, dass drei Milliarden Mark für Stadien, und ein paar fette Steuergeschenke an die Fifa, eine sinnvolle Verwendung von Geldmitteln darstellen. Besagter Kanzler empfing zur Bekräftigung gestern den Fifa-Präsidenten Sepp Blatter, um dem Schweizer bei einem „Freundschaftsbesuch“ (Beckenbauer) noch ein wenig mehr Honig ums Maul zu schmieren.

Die sechsköpfige Fifa-Delegation reiste derweil weiter nach England, wo die Herren dieselben Lobsprüche absondern werden. Im nächsten Jahr geht es dann noch zu den Mitbewerbern Marokko, Südafrika und Brasilien, die ebenfalls mit höflichem Zuspruch rechnen dürfen. Geld sei doch „nur bedrucktes Papier“, kommentierte Beckenbauer lässig Rothenbergs Milliarden-Rechnung, nur bedrucktes Papier ist aber auch der Bericht, den die Fifa-Delegation verfassen wird. Alle Elogen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dieser nur darum geht, die Erfüllung der Mindestanforderungen sicherzustellen: Ist das betreffende Land in der Lage, ein WM-Turnier in zufriedenstellender Weise zu organisieren?

Für wen sich die 24 Mitglieder der Fifa-Exekutive am 6. Juli 2000 in Zürich entscheiden werden, hängt ganz gewiss nicht von Alan Rothenberg, sondern von sportpolitischen Konstellationen, Seilschaften und nicht zuletzt dem persönlichen Geschmack der Entscheidungsfinder ab. Die Chancen der europäischen Länder sind vor allem aufgrund der England-Deutschland-Konkurrenz trotz aller Beckenbauer-Zauberei nicht die besten, die größten Hoffnungen darf Südafrika hegen, das zudem die geballte Strahlkraft eines Nelson Mandela in die Waagschale werfen kann. Dagegen erscheint selbst Deutschlands Fußballkaiser als eher blasse Figur. Ganz abgesehen von seinem unglückseligen Hang zu fatalen Prophezeiungen. Matti Lieske