Kabilas Speerspitze gegen den Tutsi-Feind

Die Reste jener ruandischen Hutu-Milizen, die 1994 für den Völkermord verantwortlich waren, haben sich unter Kabilas Schutz zu einer der mächtigsten Bürgerkriegsarmeen im Kongo entwickelt   ■  Aus Bukavu Dominic Johnson

Sie sind überall und nirgends, Phantom und Schrecken zugleich. Die ruandischen Hutu-Milizen, die im Osten der Demokratischen Republik Kongo gegen die Rebellenbewegung RCD und die sie unterstützende ruandische Regierungsarmee kämpfen, sind heute das Haupthindernis zum Frieden in der Region.

Die so genannten Interahamwe und Ex-FAR sind die Reste jener Truppen, die 1994 in Ruanda 800.000 Tutsi umbrachten und sich dann unter französischem Schutz in Flüchtlingslager im damaligen Zaire retteten. 1996 wurden sie vertrieben, als Ruandas neue Tutsi-dominierte Armee in Zaire einmarschierte, die Lager zerschlug und nebenbei noch zairischen Rebellen unter Laurent Kabila zur Macht verhalf. Danach zerstreuten sich die Hutu-Kämpfer in alle Winde. Manche gingen zu den Unita-Rebellen nach Angola, andere in die Zentralafrikanische Republik, nach Kongo-Brazzaville, Gabun, Kamerun und Sudan. Andere blieben in Kongo/Zaire und starteten von dort einen neuen Krieg in Ruanda, der in der ersten Jahreshälfte 1998 tausende Opfer forderte.

Weil die Regierung Kabila die Hutu-Milizen gewähren ließ, förderte Ruanda im Sommer 1998 eine neue Rebellion im Kongo – die Kongolesische Sammlung für Demokratie (RCD), die Kabila stürzen will und heute etwa ein Drittel des Landes kontrolliert. Aber auch die RCD, die mit Hilfe von schätzungsweise 20.000 Soldaten aus Ruanda herrscht, hat die Hutu-Kämpfer nicht besiegt.

Denn Kabila hat die Interahamwe als Verbündete erkannt. Als Ruanda und die RCD gegen ihn den Kampf aufnahmen, rief der kongolesische Herrscher zum Kampf gegen „die Tutsi“ auf. Kabila-treue Militärs hinter den Linien der RCD wurden damit betraut, die versprengten ruandischen Hutu zu formieren, um dann im Rücken der RCD zu kämpfen. So sammelte der Kabila-treue General Louedja, heute Chef der kongolesischen Armee, nach Aussagen von Überlebenden Tausende Interahamwe-Kämpfer unter einem „Kommandanten Saddam“, der auf seinem Barett ein Foto des ehemaligen ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana trägt.

Kabilas Verbündeter Simbabwe übernahm nach Angaben der ruandischen Regierung eine zentrale Aufgabe: Aus Südafrika, Kenia und der Zentralafrikanischen Republik reisten ruandische Exil-Hutus nach Simbabwe, um am Luftwaffenstützpunkt Gweru neu ausgebildet zu werden beziehungsweise selber als Ausbilder tätig zu sein. Sie sollen danach in den Planungsstab von Kabilas Truppen aufgenommen worden sein.

Der frühere Stabschef von Ruandas Hutu-Armee, Augustin Bizimungu, ist heute in Kabilas Generalstab in Kinshasa und dort mit der Koordination der Aktivitäten der Interahamwe im Kongo betraut. Deren Stärke ist nach Schätzungen von Experten von 5.000 vor zwei Jahren auf 20.000 bis 25.000 angewachsen. Sie sind heute die stärkste und bestmotivierteste Truppen auf Kabilas Seite – denn sie führen aus ihrer Sicht den grenzüberschreitenden Kampf von Hutu gegen Tutsi fort.

In den ostkongolesischen Kivu-Provinzen haben die Milizen regelrechte Militärstützpunkte, auf denen sie aus der Luft mit Waffen versorgt werden können. So kontrollieren sie größere Territorien um die Städte Bunyakiri in Südkivu und Rutshuru in Nordkivu. „Die Interahamwe sind gut ausgerüstet“, berichtet ein kongolesischer Entwicklungshelfer in Bukavu. „Sie haben gute Waffen, manchmal neue Uniformen. Manchmal warnen sie, dass sie in die Dörfer kommen, um sich zu versorgen.“ Dann plündern sie.

Beliebt sind sie auch unter ihren nominellen Verbündeten im Kongo längst nicht mehr, denn sie gelten als hauptverantwortlich für die humanitäre Notlage der Bevölkerung im Kriegsgebiet. Die ebenfalls gegen die RCD kämpfenden, aber aus Kongolesen bestehenden Mayi-Mayi-Milizen haben sich daher größtenteils von den Hutu-Milizen getrennt. „Die Mayi-Mayi schützen die Bevölkerung vor den Interahamwe“, erklärt ein Beobachter in Bukavu.

Ein vertraulicher UN-Bericht über die Lage stellt fest, dass die neue Isolation der Hutu-Milizen eine Verstärkung ihres Kampfes provoziert. Es sei „ein Aufschwung der Interahamwe-Aktivitäten in vielen Gebieten nahe den Wäldern und Naturparks, in denen sie sich verstecken, zu verzeichnen“, heißt es. „Eine größere Anzahl von Angriffen ist jetzt gegen die lokale Bevölkerung gerichtet.“ Ein beliebtes Kriegsmittel sei die organisierte Vergewaltigung kongolesischer Frauen.

Die Aktivität der Interahamwe gilt als Hauptgrund für die fortdauernde ruandische Truppenpräsenz im Kongo. „Die ruandische Armee versucht, auf kongolesischem Boden ihren Konflikt mit den Tätern des Völkermordes von 1994 zu beenden, um das nicht später in Ruanda tun zu müssen“, heißt es in dem UN-Bericht.

Im Kongo-Friedensvertrag, der von den staatlichen Kriegsparteien am 10. Juli in Sambias Hauptstadt Lusaka unterzeichnet wurde, ist nun die Entwaffnung der ruandischen Hutu-Kämpfer und anderer irregulärer Truppen vorgesehen. „Derjenige, der die Interahamwe bewaffnet hat, soll sie wieder entwaffnen“, sagt der RCD-Gouverneur der Provinz Südkivu, Basengezi Kantitima. „Dann sind die Nachbarländer nicht mehr bedroht, und es gibt keinen Grund mehr für Ruandas Armee, im Kongo zu stehen.“ Allerdings ist das kaum vorstellbar, nachdem der UNO schon 1994 bis 1996 die Kontrolle der militarisierten ruandischen Hutu-Flüchtlingslager im damaligen Zaire nicht gelang. Eher sind verschärfte Kämpfe zu erwarten. In dem Maße, wie der Krieg im Kongo in den letzten Monaten abflaute, wurden die Interahamwe-Kämpfer bereits wieder in Richtung ihrer ruandischen Heimat losgeschickt.

Anfang Oktober kam es nach RCD-Angaben zu schweren Kämpfen zwischen Ruandas Armee und 4.000 Interahamwe-Kämpfern in der ostkongolesischen Provinz Nordkivu nahe der Grenze zu Ruanda. Die Hutu-Gruppen hätten Angriffe auf die Grenzstadt Goma und auf Städte in Ruanda geplant, hieß es. Ruandische Hutu-Kämpfer waren auch an den jüngsten Angriffen von Hutu-Rebellen in Burundi beteiligt. In ihrem Selbstverständnis ist das alles Teil desselben Kampfes gegen das „Tutsi-Reich“.