Jetzt alle zusammen: Tunesien ist eine Demokratie

■ Tunesien geht am Sonntag wählen, und die Ergebnisse stehen schon vorher fest. Präsident Ben Ali schart ein paar Gegner um sich, damit das Ganze auch wie eine Wahl aussieht

Berlin (taz) – „Die Wahlen sind eine Generalprobe für die Demokratie“, sagt einer der beiden Oppositionskandidaten um das Amt des tunesischen Präsidenten, Abderrahamen Tlili. Der Generalsekretär der Vereinigten Demokratischen Union (UDU) meint dies durchaus ernst, obwohl der Sieg des derzeitigen Staatschefs Zine el Abidine Ben Ali (63) bei den Wahlen am Sonntag bereits feststeht.

Ben Ali hat nach über zehn Jahren uneingeschränkter Alleinherrschaft den Rahmen für das, was er „Demokratisierung“ nennen lässt, abgesteckt. Damit sichert er sich nicht nur seinen eigenen Sieg, sondern auch den seiner Demokratisch-Konstitutionellen Versammlung (RCD) bei den zeitgleich stattfindenden Parlamentswahlen. Ben Ali hat weder eine Verfassungsänderung vorgenommen noch dauerhafte Reformen eingeleitet. Die zumindest dem Schein nach pluralistischen Wahlen sind das Ergebnis einer vom Parlament verabschiedeten Sonderbestimmung. Die ermöglicht neben dem aus der Gewerkschaftsbewegung kommenden Tlili auch die Kandidatur eines zweiten Veteranen aus der Unabhängigkeitsbewegung Tunesiens, Mohamed Belhaj Amor, Generalsekretär der Partei der Volkseinheit (PUP). Außerdem erhält die Opposition die Garantie, mit 20 Prozent im 184-köpfigen Parlament vertreten zu sein, egal wie viele Stimmen sie kriegt. Das macht 37 Sitze – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Die beiden Parteichefs stimmt dies zufrieden, denn bisher hatten UDU und PUP zusammen gerade einmal fünf Vertreter, die gesamte Opposition 19. Die neue Sitzgarantie soll auch bei den im nächsten Jahr stattfindenen Kommunalwahlen gelten. „Die Tunesier wählen nicht, um jemanden auszusuchen, sondern um nachzudenken und sich auf einen Wechsel 2004 oder 2009 vorzubereiten“, rechtfertigt Tlili Ben Alis „Übergang der kleinen Schritte“ und möchte dennoch nicht als „Alibikandidat“ verstanden wissen, auch wenn er nur antreten darf, um die 99,91 Prozent, die Ben Ali als Einheitskandidat vor fünf Jahren erhielt, etwas kosmetisch zu senken.

Eine ernstzunehmende Oppositionspolitik ist in Tunesien nicht möglich. Ben Ali, der ehemalige Chef des militärischen Sicherheitsdienstes, der 1987 den Vater der Unabhängigkeit, Habib Bourguiba, in den Ruhestand schickte, hat die gesamte Opposition zerschlagen und die Gewerkschaft UGTT gleichschalten lassen. Der auf 120.000 Mann aufgeblähte Sicherheitsapparat erstickt jede unliebsame Äußerung bereits im Keime. Kritiker müssen mit Gefängnis oder Exil rechnen. Die Führer der in den Achtzigerjahren starken islamistischen Bewegung Ennahda leben heute in Paris oder London. Der Vorsitzende der „Bewegung Demokratischer Sozialisten“ (MDS), Mohamed Moadda, wanderte 1996 für elf Jahre hinter Gitter, sein Verteidiger vor Gericht für fünf. Moaddas Proteste wegen Wahlbetrug und mangelnder Demokratie gelten in Tunesien als „Landesverrat“. Menschenrechtlern, die gegen diese Justiz angehen, ereilt das gleiche Schicksal.

Mangels politischer Debatte im Land kann sich Präsident Ben Ali von der gleichgeschalteten Presse als Vater des tunesischen Wirtschaftswunders feiern lassen, ohne dass ihm jemand unliebsame Fragen stellt. Die Tunesier, zumindest die in den Städten und Tourismusgebieten, leben in einem, wenn auch bescheidenen, Wohlstand. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 2.500 Dinar (3.800 Mark).

Tunesien, das kleinste nordafrikanische Land, profitiert zum einen von seiner liberalen Zoll- und Investitionsgesetzgebung, die einfachen Gewinntransfer garantieren, zum anderen von der Krise im Nachbarland Algerien, das mit seinen Rohstoffen und Industrieanlagen in normalen Zeiten wesentlich eher zur Investition reizen würde. Das tunesische Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 4,6 Prozent in den letzten zehn Jahren kann sich sehen lassen. Dennoch reicht es nicht, um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Nach offiziellen Angaben liegt sie bei 15,6 Prozent der 3,3 Millionen zählenden aktiven Bevölkerung. Bei der jungen Menschen unter 30 sind fast ein Drittel ohne Arbeit, viele von ihnen gut ausgebildete Akademiker. Die Unter-30-Jährigen sind in Tunesien, wie in den meisten Entwicklungsländern, zwei Drittel der Bevölkerung. Verlieren sie die Hoffnung, kann dies schnell zum sozialen Sprengsatz werden.

Ben Ali verspricht im Wahlkampf immer wieder, „die Arbeitslosigkeit auszurotten“. Wie, und warum er das bisher nicht getan hat, diese Frage bleibt dem allmächtigen Staatschef erspart. Denn in der Presse kommen nicht einmal die zugelassenen Oppositionskandidaten zu Wort. Nur einer füllt die Seiten: „Konsenskandidat Ben Ali“. Reiner Wandler