Hamlet ist Calvin Klein

■ Ontologisches Tanztheater der unterhaltsamen Art: „The Last Performance“ von und mit Jérôme Bel auf Kampnagel

„Je suis Jérôme Bel“, sagt der Tänzer Antonio Carallo ins Mikro, angetan mit Holzfällerjacke, lila Hose und hellbraunen Schnürschuhen. Schaut auf die Uhr. Wartet. Bis die Uhr piept. Geht ab. „I am Andre Agassi“, sagt Jérôme Bel, der als nächstes vors Publikum tritt, standesgemäß gekleidet, den Schläger in der Hand. Er sieht auch haargenau so aus, und dann beginnt er, recht passabel Tennisbälle gegen die schwarze Kampnagel-Mauer zu dreschen. – „I am Hamlet“, sagt der Tänzer Fréderic Seguette, denn er trägt ein entsprechendes Kostüm und spricht den berühmten Satz. – „Ich bin Susanne Linke“, sagt die Tänzerin Claire Haenni mit französischen Akzent. Sie hat ein weißes Kleid an und tanzt zur Der Tod und das Mädchen von Franz Schubert den Anfang der Choreografie Wandlungen, die die bedeutende deutsche Choreografin und Tänzerin Susanne Linke 1978 uraufführte. Jetzt kennt der Zuschauer alle Akteure – und keinen.

The Last Performance von Jérôme Bel ist ein Phänomen: Sie stachelt den Zuschauer zur Einmischung an, und es gab schon ungleich heftigere Reaktionen als nun in Hamburg. Denn auf der Bühne passiert gar nichts Aufregendes, die Choreografie ist eine Leerstelle im Kopf des Betrachters (genau wie die Körper der Darsteller als beliebig besetzbare Leerstellen kenntlich werden), und diese müsste mit einem Theoriekonstrukt gefüllt werden. Der eine oder die andere versucht vernehmlich, die dadurch hervorgerufene Hilflosigkeit zu kommunizieren. Aber die Aufführung kommuniziert nicht zurück, sondern bleibt schön hermetisch.

Und eigentlich passiert doch viel Aufregendes auf der Bühne: Susanne Linke behauptet, nicht Andre Agassi zu sein, und tritt den Beweis an, indem sie ein Tennis vorführt, das jeglicher Könnerschaft entbehrt; der Hamlet-Darsteller will ganz Heiner-Müller-mäßig nicht mehr Hamlet sein, entledigt sich seines Kostüms und rechtfertigt seine (neue, wahre?) Identität mit der Marke der Unterhose, die er anbehält: „I am Calvin Klein“; Andre Agassi stellt klar, dass es sich bei ihm nicht um Susanne Linke handele, hört über Walkman Schuberts Der Tod und das Mädchen und summt entsetzlich falsch mit. Zuvor aber haben wir fünfmal den Wandlungs-Ausschnitt gesehen, zuletzt hinter einem schwarzen Vorhang eher geahnt (und imaginiert), wir haben haben Differenzen wahrgenommen und still bis leise die Seinshaftigkeit einer Choreografie in puncto Authentizität und Autorenschaft diskutiert. Wir haben eine Stunde lang intellektuelle Unterhaltung auf höchstem Niveau genossen, und der Walkman versichert die Gäste, die ihre Karten reserviert hatten, ganz am Ende namentlich ihrer Existenz. Was will man mehr?

Vielleicht noch ein paar Erläuterungen des Choreografen, und selbst das leistet Jérôme Bel in einem anschließenden Publikumsgespräch. Hier zeigt er sich als ebenso kluger wie humorvoller Skeptiker, der freilich nicht seine letzte Performance zeigte – vielmehr hat der 35-Jährige sein historisch gründelndes Spiel rund um die „Ontologie des Tanzes“ gerade erst eröffnet. Satz und Sieg scheinen ihm sicher. Ralf Poerschke

noch Sonnabend, 20 Uhr, k2