„Großteil der Verunsicherung unangemessen“

■ Aldo Legnaro, Geschäftsführer des ISIP-Institutes, hat die Studie zur Sicherheit in der Stadt federführend verfasst

Was war der Anlass der Studie?

Ausschlaggebend war die Beobachtung, dass Kriminalitätsfurcht in den vergangenen Jahren zum sozialen Problem stilisiert worden ist. Erschreckende Ausmaße nahm dieses Phänomen im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf 1997 an. Deshalb haben wir ihn in der Einleitung zum Aufhänger genommen, obwohl dieser Wahlkampf zeitlich nur zufällig mit der Bewilligung der Mittel für die Studie zusammenfiel.

Wie stark ist denn die Krisenstimmung in Hamburg?

In Hamburg ist die Kriminalitätsfurcht insgesamt geringer ausgeprägt als in anderen Städten. Woran das liegt, weiß ich schlicht nicht. Aber natürlich sind auch hier die Strukturen in den Köpfen vorhanden, die eine Panikwelle jederzeit möglich machen.

Wenn man sich die einzelnen Stadtviertel vornimmt, wird deutlich, daß Arten und Ausmaß der „urbanen Verunsicherung“ von der Art der sozialen Integration des Viertels abhängen. Dabei werden ökonomische Ressourcen immer wichtiger, weil die Viertel sich zunehmend homogenisieren: Reiche bleiben zunehmend unter sich, Arme auch. Wellingsbüttel etwa wird zum wesentlichen Teil durch die Angst um das Eigentum geeint, obwohl hier Einbrüche seltener vorkommen als etwa im Schanzenviertel. In der Schanze dagegen nimmt man Diebstahl als eine der Gefahren des modernen Lebens hin.

Wie werden solche Unterschiede produziert?

Die Haltung eines Viertels wird stärker über Mundfunk als über Rundfunk geformt: Der sogenannte crime talk am Gartenzaun, die Geschichten von der „Haben Sie auch schon gehört...“-Sorte verselbstständigen sich und ziehen Handlungen nach sich: Dann kauft der Nachbar einen neuen Bewegungsmelder, und man rüstet nach. Das ist auch eine Statusfrage.

Welche Rolle spielen die Medien dabei?

Was Medien in den Köpfen anrichten, ist heiß umstrittener Gegenstand der Forschung. Für Hamburg im untersuchten Zeitraum gilt, dass die Presse-Berichterstattung keine nennenswerten Abweichungen von der polizeilichen Krimi-nalstatistik aufwies, also von Panikmache keine Rede sein kann. Der Verweis auf die Wirkung der Medien bietet auch keine Erklärung dafür an, woher solche rassistischen Mythen kommen, wie sie etwa in Rothenburgsort zu finden sind: Hier erzählen sich die Leute gerne, daß Türken bei der Wohnungsvergabe bevorzugt werden.

Was kann getan werden, um die Mentalitäten und Gefühlsstrukturen in einem Viertel zu verändern?

Politik hat enorme Möglichkeiten zu steuern. Ein positives Beispiel dafür wäre das gerade angelaufene Revitalisierungsprogramm in Rothenburgsort mit einem hohen Anteil an Bürgerbeteiligung. Dadurch kann das im Stadtteil vorherrschende Gefühl von Vernachlässigung bekämpft werden. Umgekehrt ist es im Schanzenviertel: Hier mischen drei Bezirke bei der Bewältigung der durch Drogen und Polizei entstandenen Probleme mit und haben ganz offensichtlich versagt.

Wie kann Politik aufs Sicherheitsgefühl der Menschen einwirken?

Talking down, talking down: Runterreden. Den Leuten muss klar gemacht werden, daß ein Großteil der urbanen Verunsicherung unangemessen ist. Es sind die diffusen Ängste vor der totalen Markgesellschaft, die sich als Verbrechensangst artikulieren, weil es eben so einfach ist, Angst vor Verbrechern zu haben.

Wie glaubwürdig könnte die Politik das verkaufen? Sollen die Politiker nicht die Menschen da abholen, wo sie stehen?

Wenn es heißt, man muß die Leute ernstnehmen, ist die Frage: Was wird da eigentlich ernstgenommen und warum? Es geht den Politikern doch vor allem darum, starker Staat zu spielen. Das ist verlogen. Ein ehrlicher Politiker müss-te sagen, ich bin den Marktprozessen genauso ausgeliefert wie ihr. Der Hamburger Wahlkampf 1997 hat gezeigt, wie alle Parteien dem Thema „Innere Sicherheit“ aufgesessen sind, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

Aber wie will man an die Menschen herankommen, die sich Gefahren ausgesetzt fühlen, die ihrer Meinung nach von Ausländern verursacht werden?

Manches muss man auch einfach stehen lassen. Da gibts diese alte Dame in Rothenburgsort, die den Anblick türkischer Familien im Park nicht erträgt. Die trauert doch auch um das Idealbild einer Großfamilie, die es in ihrer deutschen Gesellschaft nicht mehr gibt. An solch einer Wehmut läßt sich politisch nichts ändern.

Fragen: Ulrike Winkelmann